Freitag, 15. April 2022

Zu Anne Spiegels Absturz: Ideologie und Praxis

Das grüne Conclave hat im Handumdrehen eine mir und dem Wahlvolk bislang unbekannte - wiederum "linke" - Nachfolgerin für die über eine Politlüge gestolperte Anne Spiegel im Bundesministerium für Familie, Frauen etc. bestimmt. Nachfolgender  Kommentar zum späten, unvermeidbar gewordenen Rücktritt der Grünen-Politikerin Spiegel ist dadurch noch nicht obsolet geworden.

Die Grünen umgibt noch immer der medial verstärkte Rumor, bei ihnen gehe es menschlicher, da weiblicher, und im Umgang miteinander freundlicher zu als in anderen Parteien. Deren innerparteiliche Rivalitäten sind in der Regel weniger von Flügelkämpfen als von persönlichen Machtkämpfen bestimmt, die von Fall zu Fall – beispielsweise Söder gegen Seehofer oder Merkel vs. Merz - den Kalauer: Feind-Todfeind-Parteifreund bestätigen.

Bei den Grünen gab es nur in den stürmischen Anfängen gnadenlose Grabenkämpfe zwischen „Fundis“ und „Realos“. Doch längst hat sich das Bild geändert. Es gibt in der Öko- und Feminismus-Partei zwar noch Flügel – staatstragende Gemäßigte und staatstragende „Linke“ -, aber deren Exponenten und -innen (mit Genderstern) pflegen em Augenschein nach ein insgesamt freundschaftliches, ja geradezu liebevolles Verhältnis zu einander. Inwieweit diese Art des Umgangs, der in der medialen Öffentlichkeit bei Parteitagen u. dergl. wirksam zur Schau gestellt wird, auch im engeren parteilichen Umfeld gilt, wo es um die Besetzung von Posten, um die Befestigung von Freundschaften/Seilschaften sowie um die Herstellung von Mehrheiten geht, bleibt der interessierten Öffentlichkeit meist verborgen.

Der Rücktritt Anne Spiegels vom Amt der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – nach Aufdeckung und spätem Eingeständnis von wiederholtem Fehlverhalten als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz während der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 – mag im Sinne der parlamentarischen Demokratie folgerichtig erscheinen. Bei genauerem Hinsehen fiel die Entscheidung indes nicht im Kabinett von Bundeskanzler Scholz. Sie fiel in der Parteispitze der Grünen, wo Baerbock und Habeck, die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omir Nouripour sowie deren Stellvertreter (w/m), den – von Spiegel zunächst mit der Bitte „um eine zweite Chance“ abgelehnten – Amtsverzicht beschlossen. Das Votum 0:6 fiel für Spiegel bitter aus.

Auf den erzwungenen Abschied aus dem Amt folgten die üblichen lobenden Nachrufe aus dem Munde Baerbocks, Omidpours und Langs, eben jener Parteifreunde (w/m), die sie soeben zum Abschied aus dem Ministeramt genötigt hatten. Ein klassisch grünes Lob kam von der Berliner Grünen-Bürgermeisterin Bettina Jarasch: „Sie hat ihr Amt als Ministerin mit einer feministischen und progressiven Geradlinigkeit angetreten, die diesem Land weiter gutgetan hätte.“

Mutmaßlich bedeutet der Rücktritt als Bundesministerin für Spiegel noch nicht das Ende ihrer Karriere als Politikerin. Zum politischen Spiel im Parteienstaat gehört nach einer Anstandspause das politische Comeback. Im Zweifelsfall versieht man die Ex-Ministerin mit einer gutdotierten Position in der Heinrich-Böll-Stiftung oder in einer der sonstigen, den Grünen verwandten Stiftungen und/oder NGOs.

Ich gestehe, überhaupt erst nach dem wegen eines ähnliche Urlaubsverhaltens erwirkten Rücktritt der NRW-Umweltministerin Heinen-Esser (CDU) mit einem derartigen Fortgang im „Fall Spiegel“ gerechnet zu haben. Im übrigen liegt mir fern, mich über Spiegels unter Tränen vorgetragenen Versuche, ihre Fehler mit übermäßigen familiären Belastungen zu entschuldigen, zu mokieren. Häme gehört ins politische Hinterzimmer. Peinlich war nur die Falschbehauptung über die angebliche Konferenzteilnahme per Video.

In Wirklichkeit war die Grünen-Politikerin Spiegel bereits in dem Augenblick untragbar, als sie ihr Fehlverhalten – ein Bierchen zur Entspannung statt Verantwortung im Amt angesichts einer hereinbrechenden Katastrophe – mit grün-deutschem Politkauderwelsch zudeckte. Da ging´s in einer message an ihre Untergebenen zur Abwehr des erwarteten „blame-gaming“um das richtige „wording“ sowie zum Schluss - bezüglich des Management der politisch misslichen Lage um „Hauptsache Gendern“. Es ist billige Ideologie, die hinter dem Anspruch auf moralisch überlegene grüne Praxis zum Vorschein kommt. Ob das persönliche politische Versagen an jenem Unglückstag allein aus derlei penetranter Ideologie zu erklären ist, sei dahingestellt. Jedenfalls war es damit korreliert und hätte allein für einen Rücktritt genügt. Es bedurfte aber erst der Widerlegung einer Falschbehauptung (Lüge) in ihrer Urlaubsgeschichte, um die Familienministerin aus dem Amt zu befördern.








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