Was immer in der deutschen Politik unternommen wird - sei es eine Einladung an alle real oder subjektiv Bedrängten aus aller Welt, sei es die einstimmige Verabschiedung eines ad hoc-Gesetzes als Reaktion auf eine post actum als Notzucht deklarierte einvernehmliche Video-Performance, sei es die (fast) einstimmige Deklaration zum Völkermord "an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten" -, unterliegt den Grundsätzen höchster Moral, abgeleitet aus dem Bekentnnis zu unseren Werten und zur Verantwortung für unsere - vormigratorische - deutsche Vergangenheit. (S.auch meinen Blog-Eintrag vom 03.06.2016: H.A.: "Nachtrag: Leere im Plenarsaal, Lücken in der Presse".)
Falls die Moralpolitik von Fall zu Fall in die Bredouille führt, führt eine Kehrtwendung auf dem eingeschlagenen Weg - beispielsweise durch "Schließung" der Balkanroute - vielleicht - auch wieder heraus. Die hohe Moral bleibt von derartigen Manövern unbeschädigt. Ein paar moralisch entrüstete Zwischenrufe aus dem grünsten Flügel der Moralverwaltung gehören zum Spiel auf der Bühne.
Was die Außenpolitik betrifft, so kann sich die deutsche Moralpolitik ihre - in der Regel weniger moralischen - Partner nicht aussuchen. Darum ist es nur eine Frage der Zeit, bis gewisse Wirtschaftskreise, im Bunde mit um Wählerstimmen besorgten SPD-Politikern, darauf dringen, die Sanktionen gegen Putin wieder aufzuheben.
Zu den Geschäfts- und Nato-Partnern der Bundesrepublik zählt auch der türkische Präsident Erdogan. Nach dem als "Erfolg" verbuchten Geschäft in der "Flüchtlingskrise" - Rücknahme von Flüchtlingsmigranten gegen Visafreiheit (s.a. https://herbert-ammon.blogspot.de/2016/05/vorschlag-regierungssitz-den-bosporus.html) - ging es jüngst um die Abwendung neuerlicher Migrationsgefahren. Damit Erdogan die Häfen an der Ägäisküste nicht etwa wieder für Seelenverkäufer öffnete, mußte die durch die Armenier-Resolution verletzte Ehre seines Landes wiederhergestellt werden.
Wer Politik für ein peinliches Possenspiel hält, kam in den letzten Tagen auf seine Kosten. Während Merkel, eingerahmt von mächtigen türkischen Fahnen, beim G-20-Gipel in Hangzhou Erdogan um Verständnis bat, erklärte ihr Regierungssprecher in Berlin, der Armenien-Resolution des - am Tage der Abstimmung deutlich unterbesetzten - Bundestags (s.a. https://herbert-ammon.blogspot.de/2016/06/zum-gedenken-des-ageth-eine-textanalyse_5.html) sei keine Bedeutung ("für die Bundesregierung nicht bindend") zuzumessen.
Ehedem nannte man dergleichen Praxis "Realpolitik". Der Begriff gehört - wenngleich in bescheidenem Maße und inhaltlich kaum unterscheidbar von Opportunismus - anscheinend auch zum politischen Inventar der ewigen Kanzlerin.
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