Montag, 20. Juli 2015

Zum 20. Juli: Werte für die Bundeswehr


I.
Welche Bedeutung im Zeichen der totalen (Post-)Moderne allgemein in Europa noch irgendwelchen Traditionen zukommt, bedürfte einer weit ausgreifenden Untersuchung. Mutmaßlich gehört zu den am dürftigsten mit „gelebten“ Traditionen ausgestatteten Ländern in Europa  die Bundesrepublik Deutschland, ablesbar u.a. an den alljährlichen Kirchenaustritten - sofern konfessionelle Zugehörigkeit im vergangenen Jahrhundert - unter Vorbehalt -  noch als Indikator für (christliche) Traditionsbindung gelten konnte.

Indes kommt unter dem - in öffentlicher Rede gemiedenen - Aspekt der Zivilreligion kein Staatswesen ganz ohne Traditionen aus (wenngleich bundesrepublikanische Verfassungspatrioten den Glauben an ihre res publica allein aus der abstrakten und/oder deliberativen,  real und spezifisch höchsteigenen Vernunft ableiten möchten). Am schwierigsten haben´s dabei die – per Revision des Grundgesetzes - für ihren Wertedienst gleichgestellten, syntaktisch bevorzugten Soldatinnen, sodann die Soldaten. Ihnen müsste im Hinblick auf die euro-atlantische Wertegemeinschaft sowie auf die Einwanderungsgesellschaft bei der Eidleistung („Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“) etwas unbehaglich zumute sein. Wo steht jeweils „Recht und Freiheit“ auf dem Spiel, und zu welchen bündnispolitischen Zwecken sollen sie - nach Abzug vom Hindukusch – demnächst ihr Leben riskieren?

II.
Der Begründung und Festigung bundesrepublikanischer Tradition dient seit einigen Jahren die Vereidigung von neuen Wehrwilligen am Abend des 20. Juli im Bendlerblock zu Berlin. Ausreichend bereitgestellte Polizei sorgt dafür, dass die Zeremonie nicht von lautstarken „linken“, vermeintlich pazifistischen, tatsächlich meist „antideutsch“ gestimmten Protestierern gestört wird.
Bei der diesjährigen Veranstaltung hält Klaus von Dohnanyi, Sohn des ermordeten Widerstandskämpfers im Amt Canaris Hans von Dohnanyi, eine Rede.

Die Frage drängt sich auf, inwieweit – von den Überzeugungen des Redners Dohnanyi abgesehen – die heutige, für globale Einsätze vorgesehene Bundeswehr noch in irgendeiner Traditionslinie zum 20. Juli zu sehen ist. Die „vaterländischen Gefühle“ (Peter York von Wartenburg), welche die Männer - und (phraseologiefrei) Frauen – um Stauffenberg im Bendlerblock bewegten, sind – als eine der Spätfolgen des Scheiterns von Attentat und Staatsstreich - teils historisch obsolet, teils politisch inkorrekt geworden. Die militärische – medial ans „deutsche Volk“ übermittelte - Traditionsstiftung der Berliner Republik zielt an der sozialen Wirklichkeit und der politischen Kultur der Bundesrepublik vorbei.

III.
Für Soldaten geht es zudem um praktische Fragen: Wie, d.h. mit welchen Waffen, sollen sie den Frieden bewahren (oder schaffen), der Freiheit, dem Recht usw. dienen? Für derlei Fragen ist, berufen von der Ministerin Ursula von der Leyen, die neue Staatsekretärin („Ich als Beamtin“) im Verteidigungsministerium Dr. Katrin Suder zuständig. Aus ihrer früheren Rolle als Direktorin bei McKinsey Consulting hat sie Begriffe des Business English als Equipment fürs neue Büro mitgebracht, beispielsweise „deep dive“ und „commitment“. Katrin Suder, Physikerin und Theaterwissenschaftlerin, hält die dreifache Bedeutung des Wortes im Deutschen (Hingabe, Verpflichtung oder Engagement) für geeignet, „um die Beziehung des Soldaten zu seinem Beruf zu beschreiben“, so der Autor des Porträts der Staatssekretärin (in: FAZ v. 17.07.2015).

Entsprechend beeindruckt zeigt sich die Rüstungssekretärin („Ich als oberste Rüsterin“)  von der besonderen Berufsauffassung der Soldat(sc.-inn)en. Für Katrin Suder ist Soldat sein auch eine „sehr emotionale, sehr wertegebundene Aufgabe“. Eine Spezifizierung der Emotionen und Werte ist dem Artikel nicht zu entnehmen. Den aus dem Wortlaut des Grundgesetzes abzuleitenden konventionellen – oder eben bloß traditionellen - Werten von Ehe und Familie (Art. 6;1: " Ehe und Familie stehen unter dem besondern Schutze der staatlichen Ordnung") ist die Staatssekretärin auf spezifische Weise verpflichtet (engl. committed to): „Mutter zweier Kinder, in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebend.“ Welche Emotionen bei den Soldaten vermittels besserer Ausrüstung zu stärken sind, ist dem Bericht aus dem einstigen kaiserlichen Reichsmarineamt nicht zu entnehmen.

IV.
Klar, wenn die deutschen Soldatinnen und Soldaten wieder an die Front sollen, brauchen sie bessere Waffen, z.B. Panzer mit Sitzen, die auch für hochschwangere Soldatinnen gut abgefedert sind. Um den deutschen Panzerbau, bislang bei Kraus Maffei Wegmann (KMW) in besten Händen, sorgt sich auch Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Er fordert (als „Fremde Feder“ in der FAZ v. 08.07.2015, s. 8): „Ausverkauf deutscher Panzer an Frankreich verhindern!“. Der Blogger reibt sich die Augen. Gefährdet derlei „Forderung“ nicht a) die deutsch-französische Freundschaft als Kern der Europäischen Union b) die Rüstungskooperation auf möglichst vielen Gebieten, zum Zwecke vereinheitlichter Standards, Kaliber und globaler Einsatzfähigkeit c) den Kampf gegen jede Art von Nationalismus? Arnold warnt vor einer Fusion mit dem französischen staatlichen Rüstungsunternehmen Nexter. Im Blick auf deutsche mittelständische Zulieferungsunternehmen schreibt er weiter: „Der französische Konzern Thales ist ein direkter Konkurrent, und die französische Politik versteht die nationalen Interessen zu wahren.“ 

Incroyable! Welche Töne! Bewegen den SPD-Verteidigungsexperten am Ende gar „vaterländische Gefühle“? Mitnichten. Es geht darum, den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern, im Falle einer Fusion wandert „die auch mit Steuermitteln aufgebaute Technologie ins Nachbarland ab. Deutschland würde seinen Spitzenplatz unwiederbringlich verlieren. Und der ´Leopard der Zukunft´ würde ein Franzose.“

Man sieht: Auch hier geht es um nationale Werte, wenngleich mehr um materielle. Es bleibt die bedrängende Frage, ob auch Frau Suder mit allem ihrem bei McKinsey erworbenen Verständnis für die Materie, nicht zuletzt bei ihrem deep dive in die Seele und  die Sorgen der Truppe gegenüber derlei nationalen Emotionen Verständnis zeigt.


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