I.
Welche Bedeutung im
Zeichen der totalen (Post-)Moderne allgemein in Europa noch
irgendwelchen Traditionen zukommt, bedürfte einer weit ausgreifenden Untersuchung. Mutmaßlich gehört zu den am dürftigsten mit „gelebten“ Traditionen
ausgestatteten Ländern in Europa die Bundesrepublik
Deutschland, ablesbar u.a. an den alljährlichen Kirchenaustritten -
sofern konfessionelle Zugehörigkeit im vergangenen Jahrhundert - unter Vorbehalt - noch
als Indikator für (christliche) Traditionsbindung gelten konnte.
Indes kommt unter dem - in
öffentlicher Rede gemiedenen - Aspekt der Zivilreligion kein
Staatswesen ganz ohne Traditionen aus (wenngleich
bundesrepublikanische Verfassungspatrioten den Glauben an ihre res
publica allein aus der abstrakten und/oder deliberativen,
real und spezifisch höchsteigenen Vernunft ableiten möchten). Am schwierigsten
haben´s dabei die – per Revision des Grundgesetzes - für ihren
Wertedienst gleichgestellten, syntaktisch bevorzugten Soldatinnen, sodann die
Soldaten. Ihnen müsste im Hinblick auf die euro-atlantische
Wertegemeinschaft sowie auf die Einwanderungsgesellschaft bei der
Eidleistung („Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu
verteidigen“) etwas unbehaglich zumute sein. Wo steht jeweils „Recht
und Freiheit“ auf dem Spiel, und zu welchen bündnispolitischen
Zwecken sollen sie - nach Abzug vom Hindukusch – demnächst ihr
Leben riskieren?
II.
Der Begründung und
Festigung bundesrepublikanischer Tradition dient seit einigen Jahren
die Vereidigung von neuen Wehrwilligen am Abend des 20. Juli im
Bendlerblock zu Berlin. Ausreichend bereitgestellte Polizei sorgt
dafür, dass die Zeremonie nicht von lautstarken „linken“,
vermeintlich pazifistischen, tatsächlich meist „antideutsch“
gestimmten Protestierern gestört wird.
Bei der diesjährigen
Veranstaltung hält Klaus von Dohnanyi, Sohn des ermordeten
Widerstandskämpfers im Amt Canaris Hans von Dohnanyi, eine Rede.
Die Frage drängt sich
auf, inwieweit – von den Überzeugungen des Redners Dohnanyi
abgesehen – die heutige, für globale Einsätze vorgesehene
Bundeswehr noch in irgendeiner Traditionslinie zum 20. Juli zu sehen
ist. Die „vaterländischen Gefühle“ (Peter York von Wartenburg),
welche die Männer - und (phraseologiefrei) Frauen – um
Stauffenberg im Bendlerblock bewegten, sind – als eine der
Spätfolgen des Scheiterns von Attentat und Staatsstreich - teils
historisch obsolet, teils politisch inkorrekt geworden. Die
militärische – medial ans „deutsche Volk“ übermittelte -
Traditionsstiftung der Berliner Republik zielt an der sozialen
Wirklichkeit und der politischen Kultur der Bundesrepublik vorbei.
III.
Für Soldaten geht es
zudem um praktische Fragen: Wie, d.h. mit welchen Waffen, sollen sie den
Frieden bewahren (oder schaffen), der Freiheit, dem Recht usw.
dienen? Für derlei Fragen ist, berufen von der Ministerin Ursula von der Leyen,
die neue Staatsekretärin („Ich als Beamtin“) im
Verteidigungsministerium Dr. Katrin Suder zuständig. Aus ihrer
früheren Rolle als Direktorin bei McKinsey Consulting hat sie
Begriffe des Business English als Equipment fürs neue Büro
mitgebracht, beispielsweise „deep dive“ und „commitment“.
Katrin Suder, Physikerin und Theaterwissenschaftlerin, hält die
dreifache Bedeutung des Wortes im Deutschen (Hingabe, Verpflichtung
oder Engagement) für geeignet, „um die Beziehung des Soldaten zu
seinem Beruf zu beschreiben“, so der Autor des Porträts der
Staatssekretärin (in: FAZ v.
17.07.2015).
Entsprechend beeindruckt
zeigt sich die Rüstungssekretärin („Ich als oberste Rüsterin“) von der
besonderen Berufsauffassung der Soldat(sc.-inn)en. Für Katrin Suder
ist Soldat sein auch eine „sehr emotionale, sehr wertegebundene
Aufgabe“. Eine Spezifizierung der Emotionen und Werte ist dem
Artikel nicht zu entnehmen. Den aus dem Wortlaut des Grundgesetzes
abzuleitenden konventionellen – oder eben bloß traditionellen -
Werten von Ehe und Familie (Art. 6;1: " Ehe und Familie stehen unter
dem besondern Schutze der staatlichen Ordnung") ist die
Staatssekretärin auf spezifische Weise verpflichtet (engl. committed
to): „Mutter zweier Kinder, in
gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebend.“ Welche Emotionen bei
den Soldaten vermittels besserer Ausrüstung zu stärken sind, ist
dem Bericht aus dem einstigen kaiserlichen Reichsmarineamt nicht zu
entnehmen.
IV.
Klar,
wenn die deutschen Soldatinnen und Soldaten wieder an die Front
sollen, brauchen sie bessere Waffen, z.B. Panzer mit Sitzen, die auch
für hochschwangere Soldatinnen gut abgefedert sind. Um den deutschen
Panzerbau, bislang bei Kraus Maffei Wegmann (KMW) in besten Händen,
sorgt sich auch Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der
SPD im Bundestag. Er fordert (als „Fremde Feder“ in der FAZ
v.
08.07.2015, s. 8): „Ausverkauf
deutscher Panzer an Frankreich verhindern!“.
Der Blogger reibt sich die Augen. Gefährdet derlei „Forderung“ nicht
a) die deutsch-französische Freundschaft als Kern der Europäischen
Union b) die Rüstungskooperation auf möglichst vielen Gebieten, zum
Zwecke vereinheitlichter Standards, Kaliber und globaler
Einsatzfähigkeit c) den Kampf gegen jede Art von Nationalismus?
Arnold warnt vor einer Fusion mit dem französischen staatlichen
Rüstungsunternehmen Nexter. Im Blick auf deutsche mittelständische
Zulieferungsunternehmen schreibt er weiter: „Der französische
Konzern Thales ist ein direkter Konkurrent, und die französische
Politik versteht die nationalen Interessen zu wahren.“
Incroyable! Welche
Töne! Bewegen den SPD-Verteidigungsexperten am Ende gar
„vaterländische Gefühle“? Mitnichten. Es geht darum, den
Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern, im Falle einer Fusion
wandert „die auch mit Steuermitteln aufgebaute Technologie ins
Nachbarland ab. Deutschland würde seinen Spitzenplatz
unwiederbringlich verlieren. Und der ´Leopard der Zukunft´ würde
ein Franzose.“
Man
sieht: Auch hier geht es um nationale Werte, wenngleich mehr um
materielle. Es bleibt die bedrängende Frage, ob auch Frau Suder mit
allem ihrem bei McKinsey erworbenen Verständnis für die Materie,
nicht zuletzt bei ihrem deep dive in die Seele und die Sorgen der Truppe gegenüber derlei nationalen Emotionen
Verständnis zeigt.
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