Dienstag, 14. Juli 2015

Non-Grexit und seine tiefere Bedeutung

I.
Seit dem 5. Juli 2011 steht Christine Lagarde, la plus américaine des Françaises, als Direktorin dem Internationalen Währungsfonds (IMF) vor. Nachdem sie vor einer Woche, unmittelbar nach dem überwältigenden OXI der von Tsipras zu patriotischem Widerstand aufgerufenen Hellenen, angekündigt hatte, man befürworte einen Schuldenschnitt und sei seitens des IMF zu weiteren Krediten samt Schuldenstreckung bereit, war die Marschrichtung in der Griechenland-Krise klar: Non-Grexit.

Schäuble, Juncker, Martin Schulz et. al. mochten danach noch so verärgert über Alexis sein, doch der hatte im politischen Euro-Poker von vornherein die besseren Karten . Den kompletten Grexit, den Austritt/Ausschluss der Griechen aus dem Euro wollte keiner, nicht einmal Schäuble mit seinem Fünfjahresplan für eine temporäre Parallelwährung. Nachdem das Grundsätzliche ziemlich klar war, konnte Tspiras mit seinen Reformvorschlägen – so unbefriedigend sie Schäuble und anderen derzeit noch erscheinen mögen – zusätzlich Punkte bei seinen wirklichen Sympathisanten in der Euro-EU sammeln.

II.
Ob Tsipras mit seinem Vorhaben und Versprechen, endlich den bislang de facto – und de jure Graecorum – von Steuerzahlungen unbehelligten Reichen/Superreichen mit ihren stolzen Yachten an den Küsten von Hellas ans Konto (im Ausland) zu gehen, Ernst macht und ob er damit durchkommt, tut wenig zur Sache. Sein letzter, nach dem Referendum der Troika offerierter Reformplan will das maritime Vergnügen nunmehr bereits von der Fünf-Meter-Yacht an aufwärts (statt wie beim letzten Plan von zehn Meter von Bug bis Heck) verteuern. 

Auch das zuletzt selbst von den EU-Oberen kritisierte Verteidigungsbudget dürfte ihm keine großen Kopfschmerzen bereiten. Denn der NATO-Generalsekretär warnt angesichts all der von neuem aus Osten heraufziehenden Gefahren vor Einsparungen bei Militär und Waffen. Damit sind nicht nur die vorübergehend friedenstrunkenen Deutschen gemeint, sondern auch das seit Leonidas, Rigas Pheraios, Metaxas (Oxi), Papagos, Thyella und Markos ob seiner andreía gerühmte Volk der freien Hellenen an der Südostflanke der atlantischen Wertegemeinschaft. (Etwaige Zweifel an der Lauterkeit deren Protegés in Kiew beseitigen diese derzeit in Gefechten mit ihrem „Rechten Sektor“. )

III.
Tsipras´ Flirt mit Putin war am Ende doch nicht so ernst gemeint wie befürchtet. Immerhin hat sich der Ausflug nach Moskau gelohnt. Von der geschmähten Troika bekommt er jetzt glatt 30 Milliarden € mehr – und im Zweifel noch mehr - als die bescheiden beantragten 54 Milliarden.

Leider eignet sich der seit 2010 erkannte und stets aufs neue verschleppte griechische Staatsbankrott nicht als Stoff für eine Komödie. Große Teile der Bevölkerung müssen darunter leiden, dass „wir Europäer“ das Gebaren der politischen Klasse zu Athen über Jahrzehnte hin akzeptiert, ja gefördert haben - vermittels reichlicher Subventionen aus diversen EG/EU-Fonds, durch großzügige Kooptation in den Euro, durch permanente Kreditvergaben (zu Niedrigstzinsen, dem vermeintlichen Heilmittel der 2008 aufgebrochenen Finanzkrise) sowie freundliche Ermahnungen.

Im vorerst letzten Akt des endlosen Dramas um Staatsbankrott und Grexit wurden auf der europäischen Bühne noch ganz andere Handlungsfäden erkennbar. Plötzlich wurden aus der historischen Requisitenkammer alte Feindbilder hervorgeholt. Zumindest fürs leicht erregbare Publikum taugten die als Hitler und Nazis in Uniform ausstaffierten Figuren Merkel und Schäuble. Das mag zwar allen vernünftigen Beobachtern als geschmacklos, dumm und primitiv erschienen sein, beweist indes, dass im Falle ernstlicher Interessenkonflikte im EU-vereinten Europa die unselige Historie jederzeit als politisches Zweckinstrument zu verwenden ist. Aus „lieben Freunden“ werden dann unversehens die für überholt geglaubten Stereotypen. In solchem Spiel haben´s die Deutschen wirklich schwer, während die anderen auf der Bühne ihre unbeschädigten Selbstbilder vorzeigen.

IV.
Sichtbar wurde noch ein anderer, politisch gravierender Aspekt der europäischen Familienverhältnisse. Deren Zentrum bildet die mit unterschiedlichen Zwecken verfolgte Liebesehe zwischen Deutschland, dem vermeintlichen EU-Hegemon, und Frankreich, der Führungsmacht gemäß eigenem Selbstverständnis. Unversehens kehrte Hollande seine Führungsrolle im Euro-Drama hervor, als er – die Rede garniert mit der Beschwörung der im antiken Mutterland begründeten Werte der Demokratie - den Grexit, selbst Schäubles Para-Grexit auf Zeit,  kategorisch ausschloss.

Hinter den derzeitigen Euro-politischen Unstimmigkeiten zwischen Paris und Berlin steckt ein grundsätzlicher, wenngleich meist verdeckter Dissens in Fragen der politischen Ökonomie. Die Mehrheit der französischen classe politique verfolgt - unbeschadet von den längst allenthalben missachteten Maastricht-Kriterien - seit der Einführung des Euro das Konzept einer weichen Währung. Mit dieser Zielsetzung trifft sie sich in der Theorie mit jenen „linken“ Keynesianern, die wachsende Staatsschulden noch nie als Problem betrachteten. Ferner passt das Konzept zu den politischen Zielsetzungen all jener Staaten und deren Eliten, die aus der EU endlich eine offene, d.h. vertraglich fixierte Transferunion machen wollen – à conto des deutschen Steuerzahlers.

Derlei Absicht und Durchsetzung bedeutete womöglich  noch nicht den Eklat der EU als Interessengemeinschaft, solange jedenfalls der Geist des „Populismus“ die ganze Konstruktion nicht gefährden kann. Ernst wird die unendliche Geschichte von Schulden, Krediten (= de facto Schuldenerlass), Hilfsprogrammen (=Transfers) und whatever it takes (Draghi) erst, wenn die deutsche Produktions- und Exportmaschine ins Stocken gerät. Wie die Bundesrepublik dann in einer Generation allein ihre binnenstaatlichen Sozialtransfers – und manch andere Konflikte - bewältigen soll, steht auf einem anderen Blatt.

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