Montag, 4. August 2014

Nichts als Überfälle

Der Blogger meldet sich mit einer kurzen Notiz zum Weltkriegsgedenken zurück. Die von Staatspräsident Hollande und Bundespräsident Gauck  unternommene Gedenkveranstaltung auf dem Hartmannsweilerkopf verdient als große Geste der Versöhnung Anerkennung. Hollandes Satz über das "Universelle" im Patriotismus entspricht dem französischem Selbstverständnis. Der selbst in Frankreich von der politisch-sozialen Wirklichkeit zusehends entwertete  republikanische Begriff ist leider auf die postnationale deutsche Gegenwart schwer übertragbar. Selbst Gustav Heinemanns Bekenntnis zu einem "schwierigen Vaterland" stieße heute in den  Medien  vermutlich auf mokante Ablehnung, im fußballberauschten "Volk" auf simples Unverständnis.

Zum medial vermittelten "richtigen" historischen  Selbstverständnis der  diesbezüglich ethnisch zu definierenden Deutschen (laut taz "Biodeutsche") gehört der Begriff des "deutschen Überfalls". Der Begriff des Überfalls setzt die Ahnungslosigkeit des Angegriffenen voraus. Die komplexe Vorgeschichte von Kriegen samt den - mit oder ohne vorherige Kriegserklärung - vorgetragenen kriegerischen Aktionen des Angreifers wird in der suggestiven Semantik des Wortes "Überfall" eskamotiert.

Heute, 4.August 2014, findet in Lüttich eine Gedenkveranstaltung anläßlich des deutschen Einmarsches 1914 in Belgien statt. Die militär-strategische Zwangslogik des Schlieffen-Planes, der die Verletzung der belgischen Neutralität voraussetzte, ohne die politischen  Konsequenzen ins Kalkül einzubeziehen, wird unter den Heutigen keinen einzigen Apologeten finden. Immerhin hat in der maßgeblich von ihm ausgelösten, anhaltenden Kriegsschulddebatte Christopher Clark  gleichlautende Konzepte der englischen wie der französischen Führung in Erinnerung gebracht. Demgegenüber betont Gerd Krumeich, dass die französische Planung aus politischen Erwägungen heraus vom Durchmarsch durch Belgien  letztlich Abstand nahm und seine Offensivverteidigung auf das Elsaß und auf Lothringen ausrichtete.

Dass die Deutschen mit ihrem von diplomatischen Faux-pas begleiteten,  mit dem - nach  Verweigerung des Durchmarsches - nach einer formellen Kriegserklärung eröffneten Einmarsch das Völkerrecht verletzten und somit im Kabinett Asquith bestehende  Zweifel  an Weisheit und Zweck eines englischen Kriegseintritts beseitigten, steht außer Frage. Bethmann-Hollwegs  halb deprimiert,  halb leichtfertig geäußertes Wort von "einem Fetzen Papier",  der einen Krieg nicht lohne, illustriert die politische Hilflosigkeit der  Reichsführung bei Kriegsausbruch.

Das Konzept des Schlieffen-Plans war allenthalben bekannt, auch der belgischen Regierung. Wie immer man die Verletzung der belgischen Neutralität, den als "Durchmarsch" geplanten Einmarsch  sowie das mit der Kriegserklärung einhergehende Angebot auf nachträgliche Kompensation der  Kriegsschäden beurteilen mag, es handelte sich nicht um einen gänzlich  unvorhersehbaren Angriff, mithin nicht um einen "Überfall".

Derlei historische Fakten spielen in der medialen Aufbereitung der Augusttage 1914 zum hundertjährigen Gedenken keine Rolle mehr. Für die Nachrichtenredaktion im RBB war heute morgen die
Sache klar: Die  Gedenkveranstaltung in Lüttich sollte an den "deutschen Überfall" auf Belgien erinnern.

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