Samstag, 24. Mai 2014

Werte bewegen Europa

Ganz Europa, besser die  Meinungsbildner in EU-Europa, sind in Aufregung,  aus  Gründen, die auch den Blogger, teilweise mit leichter Verspätung, zum Bloggen bewegen:

a) wegen des Sieges der global rekrutierten Bayern  von Bayern München über die internationalen Fußball-Preußen von Borussia Dortmund im DFB-Pokal in Berlin. Leider ist das große Ereignis von letzter Woche bereits wieder vergessen.

Heute geht´s in Lissabon um den Endsieg in der Champions´ League zwischen Atlético Madrid und Real Madrid. Der Schriftsteller Javier Marías bekennt sich im FAZ-Interview überraschend als Real-Anhänger. Dem Namen nach und seit Francos Zeiten historisch gesehen gilt Real als der Club der Bessergestellten, wäre also nicht nur aus der Linken-Perspektive einer Katja Kipping als "rechts" zu verorten. Marías  ordnet aber Atlético  als eher "links" ein , da seine Anhängerschaft hauptsächlich unter den  im Süden Madrids angesiedelten Postproletariern zu finden sei. Nichtsdestoweniger galt  Atlético in den Jahren  nach dem Bürgerkrieg als der "Luftwaffenclub", da zu seinen Förderern einige Generäle aus Francos putschistischer Luftwaffe gehörten. War/Ist  Atlético also nicht in Wirklichkeit "rechts"? Marías lässt den Leser im Unklaren, macht aber deutlich, dass in den Fankurven beider Vereine  Neonazis und linke Ultras zu den Fußballschlachten aufmarschieren. Etwas verwirrend das Ganze. Zum Glück handelt es sich in den Stadien nur um politisch übereifrige Randgruppen...


b) wegen des Sieges von Conchita Wurst  beim Eurovision Song Contest. Alle Europäerinnen und Europäer gratulieren dem/der siegreichen bärtigen Künstler/in Tom Neuwirth (aus Oberösterreich oder aus der Steiermark) zu ihrem/seinen  Endsieg in der großeuropäischen Schnulzenparade. Conchita /Thomas steht für ein Europa der Vielfalt, für ein Europa ohne Grenzen, für Selbstbestimmung, für wirkliche Toleranz, für ein echtes Miteinander usw. usw. oder so ähnlich. Wir durften in der "Tagesschau" - oder war´s im ZDF?, jedenfalls prime time TV - miterleben, wie Conchita/Tom den Millionen von  Europäerinnen und Europäern in derlei bewegenden Worten  die unveräußerlichen Werte Europas zu Bewusstsein brachte. Europa ist bis auf weiteres noch ganz  ergriffen.

Ganz Europa. Für die Organisatoren des Eurovision-Sängerinnnen- und Sängerkrieges reicht Europa nicht nur bis in die Türkei, bis Erzerum und Dyabakir,  sondern bis nach Aserbeidschan mit der Ölhauptstadt Baku (wo der Jodelwettbewerb auf Englisch anno 2012 ausgetragen wurde) und noch weiter gen Osten, mindestens bis nach Eriwan,  selbst wenn das nicht ganz zur armenischen Politik passt.

Auch Russland gehört beim eurovisionistischen Sängerinnen- und Sängerkrieg  noch zum Haus  Europa. Umso größer die Empörung, dass die  Russen mit dem  unmusikalischen Putin an der Spitze, an der Minnesängerin Conchita/Tom und ihrer Sangeskunst ("Like a phoenix") keinen Gefallen finden, beim nächsten Mal dem SängerInnenkrieg gar fernbleiben wollen. Der Russen Mangel an musikalischer Empfindsamkeit entspringt den unberechenbaren Tiefen ihrer halbasiatischen Seele - für wertebewusste westliche Friedensfreunde ein Grund zur Beunruhigung. Wie sagte doch - noch dazu in makellosem Englisch - der  russische Eisenbahnminister  Wladimir Jakunin beim letzten Deutsch-Russischem Forum in Berlin :   "Die antike Definition der Demokratie hatte nichts mit bärtigen Frauen zu tun, sondern die Demokratie ist die Herrschaft des Volkes"?  Solche Worte hören wir Europäerinnen und  Europäer nur mit historisch informierter Entrüstung. Obendrein wagte es Jakunin, uns EU-Bürger als "Ethno-Faschisten" zu bezeichnen. Wir sind empört. Ehe wir mit weiteren Sanktionen drohen, sollten wir von dem Putin-Intimus Jakunin eine Erklärung fordern, ob er angesichts unserer gesamteuropäischen Aversion gegen Separatisten aller Art etwa bloß die linken Nationalisten  in  Schottland oder in Katalonien gemeint hat. Julia Timoschenko, zur anstehenden Wahl wiederum mit dem züchtigen blonden Zopf bekränzt, kämen derartige  beleidigende Worte jedenfalls nicht über die Lippen.

c) wegen der bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament. Man ist doppelt besorgt, denn zum einen könnte eine womöglich noch schwächere Wahlbeteiligung  als beim letzten Mal (43 % der EU-Wahlvölker) Desinteresse,  fehlendes EU-Bürgerbewusstsein signalisieren.  Zum anderen herrscht mediale Besorgnis ob des befürchteten Vormarsches der diversen euro- und/oder europaskeptischen "Populisten". "Populisten" sind all jene, die meinen, am ordre établi in EU-Europa etwas auszusetzen zu haben und glauben, daran etwas ändern zu können.

 "Populisten" sind  überdies jene, die meinen, dem trotz aller Volkssouveränität in politischen Dingen unverständigen "Volk" (lat. populus --> auch  peuple, people)  nach dem Munde reden zu müssen. We, the people etc.  The voice of the people is the voice of God? - der mit Lateinkenntnissen ausgestattete Thomas Jefferson, wenngleich (sklavenhaltender) Urdemokrat, lag da einfach falsch. Nein, wir von demokratischen Werten bewegten Europäer halten uns an das Wort des alten Januschauers (auch wenn dessen Namen keiner mehr kennt/nennt): Vox populi, vox Rindvieh! Gott bewahre uns vor einer "Volksrepublik Europa" - die  unlängst proklamierten Volksrepubliken in der östlichen Ukraine sind abschreckend genug.

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