Mittwoch, 15. Januar 2014

Ein Wort zum "Unwort"

In Diktaturen, die gemäß ideologischem Selbstverständnis es als Notwendigkeit und Pflicht  verstehen, das Volk zu erziehen und vor  Versuchungen eigenen, "falschen" Denkens zu bewahren, wacht die von den Mächtigen eingerichtete Zensur  über die Einhaltung der Denk-, Schreib- und Sprachgebote. Für diejenigen, die sich nicht an derlei Gebote halten, kann die Sache gefährlich werden. Einen riskanten Ausweg aus der Gefahrenzone bietet dem widersetzlich selbstdenkend Schreibenden die Satire, vorausgesetzt, dass die Sprach- und Schreibwächter den Sinn des Textes nicht verstehen.

In den liberalen Demokratien gehört die Redefreiheit zu den heiligen Rechten des Bürgers, ob nun Bürgerrecht oder - noch sublimer - Menschenrecht. Zensur findet nicht statt. Die Bundesrepublik stellt diesbezüglich -  historisch bedingt - einen gewissen Ausnahmefall dar. Zum einen gibt es das Bundesamt sowie die Landesämter für Verfassungsschutz, die - gemäß ihrer Ausdeutung des von Politik und  "Wertewandel" nicht gänzlich unberührten Verfassungstextes - definieren, welche publik gemachten Vorstellungen noch verfassungsgemäß sind und welche als Manifestationen des politischen Extremismus (gestern vor allem  Links -, heute fast nur noch Rechts-)  zu gelten haben.

Zum anderen verfügt die Bundesrepublik über  eine ehrenamtliche ("zivilgesellschaftliche") Einrichtung in Gestalt der "Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres". Ihrer Intenet-Selbstdarstellung (http://www.unwortdesjahres.net/index.php?id=2.) nach waltet über der Aktion eine Jury, die "aus vier SprachwissenschaftlerInnen und einem Journalisten [besteht], die Sprachkritik auch außerhalb der Universität für relevant halten." Alljährlich wird für die sprachkritische Wachaktion ein weiteres Mitglied kooptiert. Anno 2013 war dies der Schriftsteller Ingo Schulze.

Ihre Aufgaben beschreibt die Jury wie folgt: "Die sprachkritische Aktion ´Unwort des Jahres´ möchte das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch, um damit zu alltäglicher sprachkritischer Reflexion aufzufordern." [...] Die Aktion präsentiert sich basisdemokratisch offen, sie "basiert auf dem Interesse und der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger. Jede und jeder kann zum 31.12. eines jeden Jahres schriftlich Unwortvorschläge an die Jury einreichen (bitte mit kurzer Begründung und Quellenangaben!). Die Jury ´kreiert´ also keine Unwörter, sondern wählt nach gemeinsamer Diskussion begründet aus den aktuellen Einsendungen aus."

Geht es der Aktion um das "Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität der Bevölkerung", so möchte sie nicht mit "Sprachschützern" verwechselt werden. Vielmehr verfolgt sie sprachästhetische Ziele im Dienste des Menschengeschlechts und der Demokratie. Das ist echt geil, ey! Als Beispiele für zu indizierende "Unwörter"  nennt sie "´Geschwätz des Augenblicks´ (für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche)",  die Merkelsche Lieblingsvokabel "alternativlos", die als "Haltung/Position in einer politischen Diskussion" dazu diene, "sich der Argumentationspflicht zu entziehen", sodann diskriminierende Begriffe wie "Wohlstandsmüll" schließlich "euphemistische, verschleiernde oder gar irreführende" Wörter wie "freiwillige Ausreise", wo es doch um die meist unfreiwillig - über  Abschiebehaftanstalten herbeigeführte  Rückkehr von erfolglosen Asylbewerbern - neologistisches Substitut für das semantisch eindeutige "Asylsuchende" sowie für die ehedem gebräuchliche Bezeichnung "Asylanten" (ein "Unwort")  -  in ihre Heimatländer gehe.

Für die Verbreitung ihrer Grundsätze und für die  Zurückdrängung von "Unwörtern"  findet die in Darmstadt situierte "Aktion" in der Bevölkerung fleißige Unterstützung. Laut Spiegel-online wählte "die  sprachkritische Jury  aus mehr als 1300 Einsendungen aus, in denen 746 verschiedene Wörter vorgeschlagen wurden. Die häufigsten Einsendungen, die den Kriterien der Jury entsprechen, waren ´Supergrundrecht (45-mal), ´Homo-Ehe´ (19-mal), ´Ausschließeritis´ (16-mal) und ´Armutszuwanderung/-einwanderung´ (15-mal). Das Gremium entscheidet aber unabhängig und richtet sich nicht nach der Häufigkeit der Vorschläge." (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/unwort-des-jahres-2013-a-943383.html.)

Am Dienstag, 14. Januar 2014, verkündete die Jury ihr rückwirkendes Urteil für 2013: Es lautet "Sozialtourismus". Zur Erläuterung: Es handelt sich um eine zu EU-Wahlkampfzwecken von der CSU geprägte Vokabel für die EU-rechtlich noch nicht gänzlich geklärte Inanspruchnahme von bundesrepublikanischen Sozialstaatsalimenten (nach Hartz IV) durch EU-Bürgerinnen und Bürger, die sich der - womöglich vergeblichen -  Mühe, drei Monate im EU-Kernland nach Arbeit zu suchen, entschlagen und  den direkten Weg zur Wohlfahrtsquelle bevorzugen.

Dem Blogger liegt es fern, die Mitglieder der Jury oder die um das deutsche Sprachwohl besorgten Bürger zur alltäglichen,  freiwilligen Beherbergung irgendwelcher vom bundesrepublikanischen "Reichtum" angezogenen "Migranten" (oder auch "Zuwanderer") aufzufordern. Es gilt nicht, die hohe Moral der beamteten Einkommensbezieher und deren bevorzugte Wohnlage in Frage zu stellen. Er nimmt indes Anstoß an der absurden Schreibweise oder- inzwischen auch - möglichst durch Hiatus oder Schluckauf  zu akzentuierenden ? - Redeweise "SprachwissenschaftlerInnen", sodann an der eigenartigen Juxtaposition "Haltung/Position", last but not least  an dem Terminus "Unwort".   Ihm geht es auch um die Frage, wer, wie und warum bestimmte Sprachusancen außerhalb der Universität - von wo sich nicht selten allerlei ideologischer Sprachmüll in den politischen Mittel- und Unterschichten verbreitet - für "relevant halten" darf, um sodann das "Unwort" publik zu machen.

Das anno 1991 erstmals proklamierte "Unwort" wirft  eine sprachlogische Frage auf: Das von den Sprachhütern ersonnene Antonym bezieht sich auf  "Wort". Sofern "Wort" auch mit logos zu tun hat, ist das "Unwort" nicht nur unlogisch, sondern a-logisch, anders ausgedrückt: Nonsens.   

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