Für die Fans (d/m/w) meines Blogs stelle ich hier nochmal meinen soeben auf Globkult veröffentlichten Kommentar zum grünen Ökopatriotismus und dessen theoretischen und politischen Widersprüchen vor:
Taxonomische und patriotische Kröten, nicht nur im Land der Bayern
von Herbert Ammon
Dass die Grünen in diesem unserem Lande das Curriculum politischer Bildung bestimmen, ist dem mündigen Bürger (w/m/d) seit langem klar. Seit sie mit fünf Ministerien in der Ampel-Regierung sitzen, sind sie dank Koalitionsvertrag bemächtigt, ihren Lehrplan – in derzeitiger Taxonomie: Klimarettung (=EEG), moderne Einwanderungsgesellschaft, diversity und Sonstiges, darunter Frieden – bundesweit durchzusetzen.
Taxonomie ist ein Terminus der Curricularforschung, die seit den 1960er Jahren aus den USA importiert, das angestaubte – föderale, duale und dreigliedrige – (west-)deutsche Bildungssystem modernisieren sollte. Der Lehrerfolg in Schule und Unterricht sollte fortan an Lernzielen bemessen werden, die wiederum taxonomisch in kognitive, instrumentelle und affektive (oder affektuelle) unterteilt wurden.
Der über Generationen fortwirkende Erfolg der Curricularforschung spiegelt sich in der Popularität der Grünen bei der ökologisch bewegten Jugend, insbesondere in der FfF-Bewegung. In deren Taxonomie stehen die affektiven Lernziele obenan, die durch Demonstrationseifer anstelle von Unterricht freitags zu realisieren sind. Allerdings haben im zweiten Corona-Jahr die affektuellen Demonstrationen der Impfgegner bzw. ›Corona-Leugner‹ die gesamtgesellschaftlichen Lernerfolge der klimarettenden Schuljugend deutlich überlagert. Bei der bildungswilligen Jugend überwiegt derzeit das Interesse an Präsenzunterricht vor dem Verlangen nach Gemeinschaftserlebnissen auf der Demo.
Nichtsdestoweniger steht die Klimarettung in der von den Grünen definierten Agenda der Ampel ganz obenan. Es geht um den Ausbau der EEG, maßgeblich durch saubere, klimarettende Windräder auf zwei Prozent der Gesamtfläche Deutschlands (=7000 km², etwa die halbe Fläche von Schleswig-Holstein). In den grün dominierten Bundesländern ist man mit Eifer dabei, die zeitlich noch ungewissen Klimaziele – das Zieljahr 2030 wurde soeben gecancelt – ›flächendeckend‹ zu erreichen. Ein SPD-Politiker aus der niedersächsischen Küstenregion hat die die grüne Flur ästhetisch beherrschenden, Vögel und Insekten mit Flügelschlag reduzierenden Artefakte der Postmoderne inzwischen als Teil seiner Kulturlandschaft schätzen gelernt.
Nur Bayerns Ministerpräsident Söder sträubt sich noch ein bisschen dagegen, aus Rücksicht auf konservative Landeskinder und CSU-Wahlvolk, das die Fluren, die Gaue und den weiß-blauen Himmel vor noch mehr Windrädern bewahrt wissen will. Ausgerechnet Söder, der fränkische Hüter des bayerischen Vaterlands, muss sich nun von Robert Habeck den Vorwurf des mangelnden ›ökologischen Patriotismus‹ anhören. Patriotismus? Das Wort kommt von patria, zu deutsch: Vaterland. In einem seiner Bücher fand Habeck das Wort immer ›zum Kotzen‹. Jetzt ist es, ideologisch gewendet, okay, was auch dem historisch weniger gebildeten Volk einleuchtet. Denn gestorben wurde in Afghanistan nicht mehr fürs Vaterland, sondern taxonomisch für Demokratie, Frauen- und Menschenrechte.
Die Gefahr für das grüne Klimarettungsprogramm kommt indes nicht aus Bayern, sondern aus Brüssel. Die EU-Kommission hat auf Druck Macrons und mit der Mehrheit der Mitgliedsstaaten eine Taxonomie klimaschonender Energiegewinnung etabliert, in der – wie schon kurzzeitig von Greta Thunberg aus dem atomfreundlichen Schweden favorisiert – die Nuklearenergie weit oben rangiert.
Mit dieser ›Kröte namens atomfreundliche Taxonomie‹ setzen sich in einem Artikel (in: FAZ v. 18.01.2022, S. 4) Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie auseinander. Sie schreiben: »Die Grünen stecken in einem doppelten Dilemma«. Das Dilemma besteht zum einen rein materiell im höheren Energiebedarf der ökologisch umgerüsteten Industriegesellschaft sowie den von Habeck bereits angekündigten weiter steigenden Preisen für die grüne Energie. Einkommensschwache Haushalte (›Menschen mit geringerem Einkommen‹) sollen naturgemäß vom Staat entlastet werden. Das andere Dilemma betrifft die ureigene grüne Gründungsideologie, den Kampf gegen AKWs und die Atomrüstung. Mit Blick auf Frankreich umkreisen die Autoren das Dilemma, genauer: den Widerspruch zwischen dem seit Merkels Kehrtwende 2011 beziehungsweise bis Jahresende 2022 AKW-freien Deutschland und dem auf Atomenergie setzenden Frankreich.
Auf spezifische Weise behandeln die Autoren auch das mit der französischen Nuklearrüstung verknüpfte Dilemma: Man könne ja kritisieren, aber man müsse zur Kenntnis nehmen, dass die atomare Rüstung »als Eckpfeiler des französischen Souveränitätsstrebens« diene. Die Auflösung des doppelten Widerspruchs – keine Nuklearwaffen ohne Atomindustrie – erfolgt in einem erweiterten Relativsatz: »Im Kern geht es um die atomare Bewaffnung, die übrigens auch zur europäischen Souveränität beitragen kann.« Derlei grün-europäische Auflösung durch Überspielung eines Widerspruchs würde kein Deutsch- oder Französischlehrer in einem Besinnungsaufsatz der Oberstufe durchgehen lassen.
Theoretische Widerspruchsfreiheit ist für den Erfolg grüner Politik bei dem zwischen apokalyptischer Klimaerhitzung und technokratischem Optimismus oszillierenden jungen Wahlvolk kaum nötig. Entscheidend ist die Akzeptanz der oben skizzierten grünen Taxonomie. Affektive Lernziele sind überdies leichter erreichbar als kognitive. Für deren Internalisierung ist der Grünen-Anhang durchaus bereit, ein paar Kröten zu schlucken.