Mittwoch, 22. Juli 2020

Notiz zum Berliner Schildersturm


Vorerst wird also nichts mit der Umbenennung des U-Bahnhofs "Mohrenstraße". Dabei hat die U-Bahn-Station im Bezirk Mitte, eröffnet anno 1908 unter dem Namen „Kaiserhof“, schon einige historisch bedingte Namenswechsel hinter sich. Mit der DDR verblich auch die U-Bahn-Erinnerung an Otto Grotewohl - ein Name, der außer alten SED-Genosssen vielleicht noch Kevin Kühnert geläufig sein könnte. Die U-Bahn-Station "Mohrenstraße erhielt ihre derzeitige Bezeichnung erst 1991, just in der Phase, so weiß wikipedia, als man in Berlin daranging, „im Kontext einer umfassenderen Debatte über möglicherweise historisch belastete Straßennamen auch eine Umbenennung der Mohrenstraße und der gleichnamigen U-Bahn-Station“ zu diskutieren. In den herrschenden Diskursen heißt Diskutieren soviel wie Sich-Durchsetzen. Im Politologenjargon heißt dies "agenda setting".
 
Der erste massive geschichtsmoralische Vorstoß gegen die Mohrenstraße kam von der natur- und geschichtsverbundenen Naturfreundejugend. Im Laufe der Zeit fanden die hauptstädtischen Naturfreunde Unterstützung bei den  Grünen (ehedem Alternative Liste), bei der in Sachen Namenstausch versierten Partei „Die Linke“ sowie mutmaßlich bei „linken“ Sozialdemokraten, nicht zu vergessen die moralischen Minderheiten in den Berliner Bildungsstätten. 
 
Trotz derlei politisch machtvoller Allianz, die schon seit Jahren dabei ist, mit teils plausiblen, teils ideologisch schlichten Argumenten sämtliche Straßenschilder im Afrikanischen Viertel des Berliner Wedding abzuräumen, hielt sich die demokratische Volkswut gegen die Mohrenstraße bis dato in Grenzen. 

Zu berichten ist hier von einer Episode, sich vor ein, zwei Jahren in der U 2 zutrug. Als sich der voll besetzte Zug der betreffenden Station näherte, hielt es eine Dame Ende dreißig/Anfang vierzig für ihre Pflicht, ihre Empörung über die soeben ausgerufene Bezeichnung zu bekunden. Ein etwas älterer Fahrgast äußerte Widerspruch und verwies auf  Denker und Dichter, darunter selbst Goethe, die im Falle einer Generalbereinigung deutscher Straßenschilder eliminiert werden müssten. Derlei Einwand eines Mannes mit Bildungshintergrund trieb die moralische Entrüstung der Dame zu kämpferischem Widerstand. Nein, „mit Leuten wie Ihnen“ - könne sie nicht länger in der U-Bahn fahren. Sie stieg aus, womöglich gerade noch an der Mohrenstraße.

Durch derlei Aktionen aufgeschreckt, bekundeten die Berliner Verkehrsbetriebe – wer immer dort für public relations und/oder politische Bekenntnisse zuständig sein mag – in gelben Lettern alsbald ihre moralische Entschlossenheit: „Viel zu lange trug unser (sic!) Bahnhof diesen Namen. Wir setzen dem ein Ende und benennen ihn um. („Mohren“ rot durchgestrichen.) Nächster Halt: Glinkastraße“. 
 
Die moralisch gut gemeinte Aktion der BVG ging daneben. Ein paar aufmerksame Bürger, darunter der frühere Welt-Redakteur Thomas Schmid, verwiesen auf problematische Flecken im biographischen Erscheinungsbild des russischen Komponisten. Der rot-rot-grüne Senat stoppte den moralischen Eifer seiner Verkehrsbetriebe. Womöglich steht jetzt gar die Glinkastraße – in den 1950ern beschildert als Zeichen deutsch-sowjetischer Freundschaft – auf dem Programm unserer neuen Namensgeber. Die auf dem Russischen Friedhof in Berlin-Tegel aufgestellte Grabplatte des in Berlin verstorbenen Michail Glinka (1804-1857) dürfte den Berliner Geschichtsaktivisten indes kaum bekannt sein und somit vor  Ikonoklasmus geschützt sein.

Der Kampf um die U-Bahn-Station "Mohrenstraße" ist somit weiterhin offen. Allerdings hat inzwischen ein Berliner Basketballprofi den Kampf gegen "Onkel Toms Hütte" (Endstation U 3) aufgenommen. Historische Grundkenntnisse sind unseren Schilderkämpfern so fremd wie der Sinn für Ironie.

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