Vorerst
wird also nichts mit der Umbenennung des U-Bahnhofs "Mohrenstraße".
Dabei hat die U-Bahn-Station im Bezirk Mitte, eröffnet anno 1908 unter dem Namen „Kaiserhof“, schon einige historisch
bedingte Namenswechsel hinter sich. Mit der DDR verblich auch die U-Bahn-Erinnerung an Otto Grotewohl - ein Name, der außer alten SED-Genosssen vielleicht noch Kevin Kühnert geläufig sein könnte. Die U-Bahn-Station "Mohrenstraße erhielt ihre derzeitige
Bezeichnung erst 1991, just in der Phase, so weiß wikipedia, als man in
Berlin daranging, „im Kontext einer umfassenderen Debatte über
möglicherweise historisch belastete Straßennamen auch eine
Umbenennung der Mohrenstraße und der gleichnamigen U-Bahn-Station“
zu diskutieren. In den herrschenden Diskursen heißt Diskutieren
soviel wie Sich-Durchsetzen. Im Politologenjargon heißt dies "agenda setting".
Der
erste massive geschichtsmoralische Vorstoß gegen die Mohrenstraße
kam von der natur- und geschichtsverbundenen Naturfreundejugend. Im Laufe der Zeit
fanden die hauptstädtischen Naturfreunde Unterstützung bei den Grünen (ehedem Alternative Liste), bei der in
Sachen Namenstausch versierten Partei „Die Linke“ sowie
mutmaßlich bei „linken“ Sozialdemokraten, nicht zu
vergessen die moralischen Minderheiten in den Berliner Bildungsstätten.
Trotz
derlei politisch machtvoller Allianz, die schon seit Jahren dabei ist, mit
teils plausiblen, teils ideologisch schlichten Argumenten sämtliche
Straßenschilder im Afrikanischen Viertel des Berliner Wedding
abzuräumen, hielt sich die demokratische Volkswut gegen die
Mohrenstraße bis dato in Grenzen.
Zu berichten ist hier von einer
Episode, sich vor ein, zwei Jahren in der U 2 zutrug. Als sich der
voll besetzte Zug der betreffenden Station näherte, hielt es eine Dame Ende
dreißig/Anfang vierzig für ihre Pflicht, ihre Empörung über
die soeben ausgerufene Bezeichnung zu bekunden. Ein etwas älterer
Fahrgast äußerte Widerspruch und verwies auf Denker
und Dichter, darunter selbst Goethe, die im Falle einer
Generalbereinigung deutscher Straßenschilder eliminiert werden
müssten. Derlei Einwand eines Mannes mit Bildungshintergrund trieb
die moralische Entrüstung der Dame zu kämpferischem Widerstand. Nein,
„mit Leuten wie Ihnen“ - könne sie nicht länger in der U-Bahn fahren. Sie stieg
aus, womöglich gerade noch an der Mohrenstraße.
Durch derlei Aktionen aufgeschreckt, bekundeten die
Berliner Verkehrsbetriebe – wer immer dort für public
relations und/oder
politische Bekenntnisse zuständig sein mag – in gelben
Lettern alsbald ihre moralische Entschlossenheit: „Viel zu lange trug unser
(sic!)
Bahnhof diesen Namen. Wir setzen dem ein Ende und benennen ihn um.
(„Mohren“ rot durchgestrichen.) Nächster Halt: Glinkastraße“.
Die
moralisch gut gemeinte Aktion der BVG ging daneben. Ein paar
aufmerksame Bürger, darunter der frühere Welt-Redakteur
Thomas Schmid, verwiesen auf problematische Flecken im biographischen Erscheinungsbild des russischen Komponisten. Der rot-rot-grüne Senat stoppte den
moralischen Eifer seiner Verkehrsbetriebe. Womöglich steht jetzt gar die
Glinkastraße – in den 1950ern beschildert als Zeichen
deutsch-sowjetischer Freundschaft – auf dem Programm unserer neuen
Namensgeber. Die auf dem Russischen Friedhof in
Berlin-Tegel aufgestellte Grabplatte des in Berlin verstorbenen
Michail Glinka (1804-1857) dürfte den Berliner Geschichtsaktivisten indes kaum
bekannt sein und somit vor Ikonoklasmus geschützt sein.
Der Kampf um die U-Bahn-Station "Mohrenstraße" ist somit weiterhin offen. Allerdings hat inzwischen ein Berliner Basketballprofi den Kampf gegen "Onkel Toms Hütte" (Endstation U 3) aufgenommen. Historische Grundkenntnisse sind unseren Schilderkämpfern so fremd wie der Sinn für Ironie.
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