I.
Die Bilder von den jüngsten Gewaltszenen in Stuttgart bringen in der politisch-medialen Ausdeutung die üblichen Kommentare hervor: teils entrüstet, teils verständnisvoll interpretierend, durchsetzt mit Kritik an der aus ihrer Saturiertheit aufgeschreckten "Mehrheitsgesellschaft". Die zugrundeliegende Thematik bleibt dabei unkommentiert.
Es geht in nuce um das die Zukunft Europas bestimmende Thema Einwanderung, in der lingua politica ohne Präfix benannt als "Migration". Es betrifft nicht nur Deutschland. Vor allem hier jedoch, in dem ehedem von teils verständlichem, teils hybridem Stolz auf die eigene Kultur erfüllten Land, findet seit Jahren um dieses Thema - in Politik und Medien begrifflich gemieden und faktisch ignoriert - ein Kulturkampf statt. Die Auseinandersetzungen betreffen - wenn auch wesentlich anders als dereinst vor 150 Jahren unter dem Reichsgründer Bismarck - im engeren Sinne die Religion, im umfassenderen, grundsätzlichen Sinne die Zivilreligion.
An der Oberfläche geht es um Aspekte der zum tagespolitischen Klischee verkommenen Integration. Dieser - im Hinblick auf bereits vorhandene Einwanderungsgruppen sowie auf die anhaltende, von Staat und aktivistischen Gruppen und Institutionen der "Zivilgesellschaft" forcierte Einwanderung (Im-Migration) - positiv-integrierend, auf "Eingliederung" zielende Begriff wird derzeit von dem Schlagwort "diversity" überformt und ersetzt. Beide Begriffe verhüllen oder negieren das in unterschiedlicher Kultur, Tradition und Religion angelegte Konfliktpotential. Bereits eine solche Aussage wird im Rahmen der politisch verengten Diskurse von "linken" Protagonisten unbeschränkter Einwanderung zurückgewiesen, als "rechts" oder "neurechts" perhorresziert. Dabei wissen längst nicht nur aufgeklärte Marxisten, dass in historischen Prozessen, in Politik und Gesellschaft, der kulturelle Überbau vielfach wichtiger ist als die Basis.
Was sind - außer dem schnöden Mammon und der spezifischen Attraktivität des deutschen Sozialstaats - die Bindekräfte, die eine politische Gesellschaft, genauer: eine historisch entstandene "moderne" Nation, zusammenhalten? Die "richtige" Antwort - ursprünglich formuliert von Dolf Sternberger, sodann adaptiert von Jürgen Habermas, heute proklamiert von Katja Kipping, Katrin Göring-Eckardt, Sawsan Chebli etc. - lautet: Verfassungspatriotismus, die Bindung an die Werte des Grundgesetzes. Die Antwort ist nicht allein aufgrund des fehlenden Bezugs auf Kultur und Geschichte semantisch flach, sondern in doppelter Hinsicht - historisch und theoretisch - unzutreffend. Zum einen schufen die "Mütter und Väter" - so die neuerdings übliche Sprechformel - im Namen des "Deutschen Volkes" das Grundgesetz vor dem historischen Hintergrund des in Schrecken und Zerstörung untergegangenen NS-Reiches. Zum anderen manifestieren sich in den Verfassungsprinzipien (obenan der stets zitierte Artikel 1 GG "Die Würde des Menschen ist unantastbar") spezifisch westliche ("abendländische") - aus Antike, Christentum und Aufklärung - abzuleitende Kulturtraditionen.
Dieselbe Feststellung gilt für das Mantra der Menschenrechte - ein revolutionäres Konzept aus der "westlichen" Tradition des säkularen Naturrechts. In der Radikalität des Begriffs ist der historisch-kulturelle Kontext "unserer" politischen Metaphysik zwar nicht mehr zu erkennen, tritt in der politischen Gegenwart jedoch stets dann hervor, wenn außerhalb Europas auf Einhaltung der Menschenrechte gepocht wird. Für Machthaber wie Xi Jinping handelt es sich um lästiges ideologisches Begleitgepäck westlicher Geschäftspartner oder Konkurrenten. Zu deren nachhaltigen Irritation halten sodann den westlichen Menschenrechtlern die islamischen Gelehrten der Universität Al Azhar in Kairo ein eigenes Konzept entgegen. Längst wird - losgelöst von der Menschenrechtsthematik - die Problematik: säkularer Rechtsstaat oder innerislamische Rechtsprechung bzw. Clan-Justiz in den communities in den Einwanderervierteln handgreiflich: (Dazu als Beispiel: https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/duisburg-marxloh-todesdrohungen-gegen-polizei-einsatz-gegen-clans_aid-51592625?fbclid=IwAR0zSR2TYLNQ-rlnBE5osNotazzNzGQsamCdunLsR90hXyhvct6rH-XNdII )
Was die kulturelle "Integration" der undifferenziert und pauschalisierend als "Migranten" Einwanderungsgruppen betrifft, so liegt dem Konzept der "weltoffenen" Einwanderungsgesellschaft ein eklatanter Widerspruch zugrunde. Die auf "Wertevermittlung" zielende politische Sozialisation von Kindern und Jugendlichen gründet in diesem unserem Lande in erster Linie auf der Auseinandersetzung mit der Ära des Nationalsozialismus. Wie danach selbst junge ethnisch Deutsche ("Biodeutsche") nach jüngster Empfehlung des Bundespräsidenten "Deutschland noch mit gebrochenem Herzen lieben" können (oder sollen), ist für sich genommen fragwürdig genug. Dass die "migrantischen" Jugendlichen sich - im Sinne eines geschichtsbewussten "Verfassungspatriotismus" - mit der deutschen Geschichte identifizieren könnten, ist erst recht nicht anzunehmen. Es handelt sich um eine latente und evidente Konflikte kaschierende Wunschvorstellung.
II.
Nur für eine kurze Phase - im Gefolge der 2015 von der Kanzlerin Merkel unter der Parole "Wir schaffen das!" durchgesetzten Aufnahme von 1,5 Millionen Menschen aus Nahost und anderswo - drängte die - kulturelle, eben nicht nur soziale - Einwanderungsproblematik ins politische Bewusstsein der Bundesrepublik. Eine Anzahl von Bürgern (m/w) trat mit der von der früheren DDR-Bürgerrechtlerin und langjährigen Bundestagsabgordneten (zuerst Bündnis ´90/ die Grünen, dann CDU) Vera Lengsfeld initiierten "Erklärung 2018" hervor. Naturgemäß stieß derlei Kritik an der Regierungspolitik in der etablierten "öffentlichen Meinung" auf vehemente Ablehnung. Die Kritik wurde mit der probaten Allerweltsformel "rechts" abgewehrt.
Unter den prominenten Unterzeichnern der "Erklärung 2018" befand sich der mit Literaturpreisen ausgezeichnete Schriftsteller und Lyriker Jörg Bernig. Bereits im September 2016 hatte Bernig in einer Rede in der Lessingstadt Kamenz die faktische Einschränkung freier Meinungsbildung in Deutschland beklagt. Mehr noch: „Wenn unkonventionelle Meinungen bis zur Existenzvernichtung des anderen
bekämpft werden, läuft es aufs Gehorchen hinaus. Das ist das Gegenteil
von Aufklärung.“ Seine Rede stellte er unter das Kantsche Diktum "Habe Mut..." Bernig fand nichts dabei, auch in Publikationen, denen das Odium "rechts" anhaftet, mit Essays hervorzutreten.
(Merke: In diesem unserem Lande kommt es nicht auf das "Was", sondern auf das "Wo" an. Leider kriegt man auf den Plätzen der res publica nicht überall Zutritt.)
Als Bernig, früher bereits von der Stadt Radebeul mit einem Kulturpreis ausgezeichnet, Anfang Juni vom Stadtrat, genauer: von einer über die Stimmen von CDU und AfD hinausgehenden Mehrheit zum Kulturbeauftragten der Stadt Radebeul gewählt wurde, waren die Konsequenzen abzusehen. Eine Empörungswelle gegen den "neurechten" Autor schlug los, ausgelöst von einem Jazzmusiker, der Unterschriften unter protestierenden "Kulturschaffenden" (Terminus LTI) sammelte. Sogleich sprangen die landesüblichen Medien (Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel etc.) auf den Kampagnenwagen. Die Vorsitzende des deutschen PEN-Clubs (Eintritt/Beitritt nur durch Kooptation möglich) forderte Bernig zum Austritt aus dem Verein auf.
Die Folgen sind bekannt: Der Oberbürgermeister von Radebeul legte ein Veto gegen die Wahl ein. Bernig verzichtete auf einen neuerlichen Wahlgang. Als Kulturbeauftragte gewählt wurde mangels Konkurrenz die bei der Erstwahl Unterlegene. Im deutschen Kulturkampf der Karl-May-Stadt Radebeul hatten die guten "Linken" über einen bösen "Rechten" einen Sieg errungen.
III.
Das online-Magazin "Globkult" (Herausgeber Gunter Weißgeber,
langähriger Bundestagsabgeordneter [1990-2009] und 2019 ausgetretenes
Mitglied der SPD), versteht sich - nomen est signum - als Forum der
Information und Meinungsbildung zu den kulturellen Prozessen und zum
politischen Geschehen auf dem Globus, naturgemäß also auch in diesem
unserem Lande, in dem wir - dixit Merkel - "gut und gerne leben".
Wenn man wegen eigenständiger, nonkonformer Meinungsäußerungen öffentlich angegriffen wird und befürchten muss, wegen politischer Unbotmäßigkeit Besuch von Tante Antifa zu kommen, lebt es sich in diesem Land immer weniger gut. Ein Klima der Unfreiheit, des Zwangs zur Anpassung, der Unterwerfung unter verordnete Denkgebote breitet sich aus.
Das liberale - auf freie Meinungsbildung verpflichtete - Magazin "Globkult" bot dem Autor Lutz Götze das Forum zu einer Polemik gegen den "neurechten" Bernig und zur Rechtfertigung des gegen ihn inszeniertenVerfahrens (https://globkult.de/gesellschaft/identitaeten/1904-vom-missbrauch-der-aufklaerung). Dass Götze sich als eigentlicher Aufklärer versteht und zur Selbststärkung den einschlägigen Passus aus Kants "Antwort auf die Frage: Was ist Aufklärung?" zitiert, entbehrt nicht der Ironie. Schlichte Polemik gegen "Bernigs Säulenheiligen Samuel P. Huntington und sein Werk »Kampf der
Kulturen«, in dem der Amerikaner, ähnlich wie Frankreichs
Bestsellerautor Michel Houellebecq, die Islamisierung Europas
vorhersieht," genügt Götze als Argument.
Immerhin hat Bernig in der gegen ihn geführten "erfolgreichen" Kampagne einige couragierte Unterstützer gefunden. Eine davon ist die einstige DDR-Bürgerrechtlerin Heidi Bohley. Sie schrieb Anfang Juni in einem "Offenen Brief" an die Mitglieder des Stadtrats, darunter Oberbürgermeister Wendsche: "Menschen, die sich selbst Kulturschaffende nennen, verlangen von Ihnen,
dass Sie eine Wahl rückgängig machen, demokratische Regeln über Bord
werfen und stattdessen den Erwartungen einer durch keine Wahl
legitimierten, kleinen aber lautstarken Menge folgen." Ihren "Offenen Brief" hat sie in einem Artikel für "Globkult" mit Details des - für die deutsche Kulturlandschaft exemplarischen - Verfahrens zu Radebeul ergänzt.
Es bleibt zu hoffen, dass dank Internet und social media Heidi Bohleys Aufsatz (https://globkult.de/gesellschaft/identitaeten/1905-demokratiesache-bernig) breite Beachtung findet. Es ist ein mutiger Beitrag zur Erhellung des in diesem unseren Lande stattfindenden Kulturkampfes.
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