Donnerstag, 3. Oktober 2019

Nach(t)gedanken zu den Einheitsfeiern 2019

An einem überwiegend grauen Oktobertag gibt´s in Deutschland wenig zu feiern, schon gar nicht, wenn man Impressionen wie folgende - übermittelt über Facebook von Johannes R. Kandel, einem der letzten aufrichtigen Sozialdemokraten und glaubwürdigen Protestanten - zu lesen bekommt: "Komme gerade vom Brandenburger Tor. Trauriger Tag der deutschen Einheit. FRESS und SAUF Stände ohne Ende. Dazwischen Bühnen. MUSIK satt! Immerhin. Nicht ein einziger politischer Infostand! So wichtig ist der Politik die deutsche Einheit. Kein Politiker zu sehen. Man könnte ja vom "Volk" was gefragt werden! Vorm Reichstag eine Politsekte mit Preußenfahne, Reichskriegsflagge, Fahnen deutscher Bundesländer. Brüllten was von fortgesetzter "Besatzung" Deutschlands. Keine Reichsbürger, noch irgendwas noch Sektiererisches...."

Das erfreut/entsetzt alle um die Demokratie Besorgten. Denn naturgemäß sind in der Hauptstadt, in Berlin-Mitte, an diesem Tag stundenlang einige Straßen gesperrt: "Linke" Demos haben gegen Nationalismus und/oder gegen Rechts ihr Recht der Straße angemeldet.

Dass ich an einem solchen Tag - wie auch schon längst sonst -  auf TV-Informationen über die Politinszenierungen verzichte, versteht sich von selbst. Über die social media ist zu erfahren, dass bei Kanzlerin Merkels öffentlicher Einheitsrede in Kiel keine einzige "Deutschlandfahne" zu sehen war. Nun gut, Fahnen erwecken in mir keine Hochgefühle, aber global gesehen scheinen sie sehr beliebt zu sein, nicht nur in Bayern die weiß-blaue Rautenfahne. Jedenfalls gehören außerhalb der bundesdeutschen Grenzen Nationalfahnen zum politischen Outfit der mehrheitlich historisch real entstandenen, nicht bloß von Benedict Anderson, Eric Hobsbawm et al. erfundenen Nationen.

Immerhin bräuchte man sich in Deutschland der schwarz-rot-goldenen Trikolore nicht zu schämen. Sie zierte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848/49, sie war das Reichsbanner der Weimarer Republik. Sodann, vor dreißig Jahren, im wundersamen Jahr des Mauerfalls, bewies sie ihre friedliche, demokratisch-revolutionäre Symbolkraft.  Unlängst jedoch wurde  bei einer "von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragenen" (cantus firmus) Antifa-Demo - oder war´s eine Klimaapokalypse-Show? - dekretiert, das Mitführen der  "Deutschlandfahne" sei unerwünscht.

Die Demokratie trägt heute Regenbogenfarben oder Rot/Schwarz auf weißem Grund an der schwarzen Kapuzenjacke. Schwarz-Rot-Gold ist out, auf youtube kursiert eine Szene aus dem Jahr 2013, wo Kanzlerin Merkel ein von Parteifreunden auf der Bühne herumgereichtes Exemplar unwirsch außer Sichtweite befördert. Falls es sich bei einer jüngst verbreiteten social-media-Nachricht nicht um eine Ente handelt, soll  hingegen demnächst eine Verunglimpfung der EU-Sternenfahne und/oder der EU-Schiller-Beethoven-Hymne mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe "sanktioniert" werden.

Noch einmal: Mein Herz hängt an keiner Fahne. Was ärgert und schmerzt, ist der ignorante, mit  viel Hypokrisie durchtränkte Umgang deutscher Redenschreiber und ihrer politischen Performer mit der Geschichte eines "schwierigen Vaterlandes". Es handelt sich um einen heute mutmaßlich als "rechts" zu identifizierenden Begriff. Er stammt von Gustav Heinemann, Bundespräsident zu Zeiten der Kanzlerschaft Willy Brandts. Dass die Regenbogenfahne (sowie viele andere mit allen möglichen Insignien)  zusehends - demnächst die Fahne der deutschen Demokratie ersetzt, ist der herrschenden Ideologie zu verdanken. Deren Exponenten wollten schon im Einheitsjahr 1989/90 von der deutschen Einheit nichts wissen.  Nichtsdestoweniger nutzten sie nach dem Mauerfall  ihre  unerwarteten Karrierechancen im "Osten".

Wir, die wir ehedem den westdeutschen Ideologen der deutschen Selbstverleugnung widersprochen haben, erinnern uns trotz alledem an die spannungsreichen, beglückenden Szenen vom Spätherbst 1989 bis zum 3. Oktober 1990. Dazu gehörten die vielen, im postnationalen  "Westen" schon damals ungeliebten "Deutschlandfahnen". Bei solchen Erinnerungen betrübt es dann doch das Gemüt,  dass die 1848er Fahne 30 Jahre nach dem Mauerfall, aus der Medienöffentlichkeit verbannt ist, hierzulande vornehmlich nur noch in Schrebergärten sowie auf AfD-Veranstaltungen zu sehen. Noch betrüblicher, bedrückender scheint mir, dass sich laut (Wahl-)Umfragen in der jüngeren Generation eine Spaltung zwischen "weltoffenen", grün-linken, ahistorischen "Linken" und national-bornierten, historisch ignoranten "Rechten" abzeichnet. Sollten sich diese Tendenzen verfestigen, gäbe es in absehbarer Zukunft in Deutschland nichts mehr  zu feiern.

Vielleicht handelt es sich bei derlei Überlegungen zum 3. Oktober 2019  nur um politisch unerwünschte Nach(t)gedanken. Dann bestünde für dieses Land noch einige Hoffnung.

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