Montag, 3. September 2018

Rock´n Roll in Chemnitz

Die Demokratie im freiesten Staat der deutschen Geschichte steht bekanntlich am Abgrund, wie uns tagtäglich die Bilder aus Chemnitz beweisen: Wir müssen mit ansehen, wie das letzte Aufgebot der Freiheit, todesmutige Töchter und Söhne  von Tante Antifa, mit nichts als politisch aufklärenden Transparenten bewaffnet, an die Front ziehen, zum Kampf gegen die braunen Horden in Sachsen. Adnote: Wer meint, in diesem Text sollten die nackten Hintern und das sonstige Gebaren der jederzeit gewaltbereiten tätowierten Kostümnazis verharmlosend ästhetisiert werden, gehört zu den  politischen Legasthenikern.

Eine Rekonstruktion der von Merkels "Grenzöffnung" ausgelösten politischen Erschütterungen der bundesrepublikanischen Wohlgefälligkeit ist nicht nötig. Stattdessen sei verwiesen auf die Analyse dessen, was derzeit hinter den TV-Spots aus Chemnitz als deutsche historisch-politische Realität hervortritt, die der aus DDR-Opposition stammende  Historiker und Publizist Klaus-Rüdiger Mai heute in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) präsentiert  https://www.nzz.ch/feuilleton/alles-beginnt-mit-herkunft-weshalb-ostdeutschland-sich-zur-provokation-entwickelt-ld.1415437).

Mein Thema sind nicht die Hintergründe der abstoßenden - realen  und inszenierten ("gefaketen", siehe https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/polizei-ermittelt-gegen-gruppe-syrischer-maenner_aid-32314203?output=amp&__twitter_impression=true) - Szenen, sondern die der von ganz oben -  von dem dereinst zu Wahlkampfzwecken im Problembezirk Neukölln mit dem sensiblen Dichter-Migranten Bushido rappenden Bundespräsidenten Steinmeier - empfohlenen und öffentlich finanzierten Veranstaltung zur Verteidigung der Demokratie in Chemnitz: Ja doch, wieder mal "Rock gegen Rechts". (Merke: Rechts, großgeschrieben, gilt als bedrohliches Substantiv).

Weder dem Gedröhn der Verstärker noch den ohnehin unverständlichen Texten der auf der Bühne versammelten demokratischen Kampfgruppen,  im Erscheinungsbild kaum zu unterscheiden von den "rechten"  Nazi-Rock-Bands, könnte ich etwas abgewinnen. Die Sinne, die Nerven, sind zu schonen. Den Lesern, die sich aufgerufen fühlen, als TV-Demokraten dem Spektakel beizuwohnen, seien indes ein paar Verse jener schönen Texte vorgestellt, welche die Band "Frische Sahne Fischfilet" -  die aus ein paar Akkorden und viel Lärm bestehende Kunst des Polit-Rock erlernte ihr tätowierter Frontmann dereinst bei der bei Verfassungsschützern beliebten Nazi-Band "Landser" -  zur demokratischen Erbaung ihres Publikums gedichtet haben:

„Leere Gesichter, viele Fragen
Niemand der ihnen Antwort gibt
Was können sie hier noch wagen?
Heute Nacht - schlagen sie zurück
Helme warten auf Kommando
Knüppel schlagen Köpfe ein
Wasser peitscht sie durch die Straßen
Niemand muss Bulle sein!
Und der Hass - Der steigt
Und unsere Wut - Sie treibt
Unsere Herzen brennen..." 


Der demokratisch befreiende Hass gilt den "Bullen", der Polizei. Ähnlich feinsinnige Lyrik erwartet  das aus ganz Deutschland - Ost und West - vielfach in Bussen demokratisch gratis herangekarrte Publikum heute abend in Chemnitz.

Womöglich handelt es sich nur um eine Geschmacksfrage. Zu meinen Zeiten gefielen mir die fröhlichen Verse und die Rhythmen von Chuck Berry:

"Rock`n`roll music just, let me hear some of that rock 'n' roll music
Any old way you choose it
It's got a back beat, you can't lose it
Any old time you use it
It's gotta be rock 'n' roll music
If you wanna dance with me..."


Tempi passati. Insgesamt glücklichere Zeiten, glücklichere Tage,  lange vor dem großen Glück des Mauerfalls, Äonen vor Merkels Okkupation der deutschen Politik. Dafür, dass sich die Dinge -  so oder so, hoffentlich noch zum Guten  - ändern, dass die Ära Merkel zu Ende geht, gibt es hinreichend Anzeichen. Nicht zufällig forderte der tätowierte Millionär Campino, Superstar des Chemnitzer Spektakels, Angela Merkel zum "Durchhalten" auf - eine aus der deutschen Geschichte bekannte Parole.

Samstag, 1. September 2018

Post mortem Giselher Suhr

Jahrelang habe ich mich geweigert, mich den Tentakeln des  Kraken Facebook auszusetzen. Schließlich ließ ich mich von einem Freund überreden, der mir die Chancen auf ein breiteres Publikum für meine Publizistik vor Augen stellte.

Über das - nach wie vor fragwürdige - Medium gewinnt man "friends", teils wird man von anderen, nicht immer ganz vertrauenswürdigen friends angefragt bzw. kooptiert, teils stößt man auf Namen, die man - teilweise von ganz früher her -  kennt, mit denen man gerne wieder in Kontakt treten möchte. Daraus können zuweilen sogar noch reale Freundschaften hervorgehen.

Giselher Suhr, über lange Jahre Redakteur bei "Kennzeichen D" sowie Studioleiter des ZDF in Berlin, gehört zu denjenigen "friends", deren Wiedersehen über Facebook sympathische Erinnerungen erweckte. Es war in den 1980er Jahren im eingemauerten West-Berlin, als ich ihn über eine in der damaligen Friedensbewegung - sofern diese aus ideologisch gefestigten und entsprechend unfriedlich rivalisierenden Friedensfreunden, glaubwürdigen (und weniger glaubwürdigen) Pazifisten sowie gläubigem Fußvolk zusammengesetzte Assoziation die Bezeichnung rechtfertigt - engagierten grünen Freundin kennenlernte. Ich weiß nicht mehr, ob er es oder ein Kollege war, der mich auf einem Ausflugsschiff auf der Havel zu einem Interview zum Thema "Frieden in Europa und deutsche Frage" einlud.

Die  Ironie bei der damaligen Erregung über die im Zeichen der Nato-"Nachrüstung" - oder sowjetischen "Vorrüstung" - als Vorspiel der Apokalypse in Europa wahrgenommenen Neuauflage des Wettrüstens lag darin, dass die Friedensbewegten aller Schattierungen zwar die potenzierte Kriegsgefahr "auf deutschem Boden" beschworen, einige diese Wahrnehmung sogar in patriotischen Reden kundtaten. Die Mehrheit der Protagonisten der "neuen sozialen Bewegung" (in jenen Jahren kreierter terminus sociologicus) aber wollte des Pudels Kern der Friedensfrage - die in den Blockstrukturen konservierte, durch die Mauer anscheinend ad ultimum vertagte Deutsche Frage - nicht erkennen oder auch nur als Frage nicht zulassen. Zwar hatte Ende 1981 der von zahlreichen Promis unterzeichnete Brief des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Partei- und Staatschef Leonid Breschnew Aufsehen erregt, aber der Impuls eines "neuen Patriotismus", wie ihn damals ein schriller Aufmacher im "Stern" beschwor, erstarb in kurzer Zeit. Der Friede in Europa wurde spätestens nach der "erfolgreichen" Stationierung von Mittelstreckenraketen "auf (west-)deutschem Boden erneut auf der Basis des Status quo definiert. Die wenigen Dissidenten in der DDR, die sich als "unabhängige" Friedensbewegung verstanden und dafür die Repressionen  des SED-Regimes in Kauf nahmen, fanden im Westen - selbst bei den zusehends vom "Realo" Joschka Fischer und seinesgleichen dominierten Grünen -  nur abgeschwächte Sympathien.

Zu den wenigen Ausnahmen gehörte damals - als Mitglied der SPD - der Journalist Giselher Suhr. Er verfügte über allerlei Kontakte zu den Dissidenten und stellte in seinen TV-Beiträgen die deutsche Misere vor Augen. An einem regnerischen Tag Mitte der 1980er Jahre traf ich ihn auf der großen Wiese vor dem verwaisten Reichstagsgebäude. Er hatte sich jenem Häuflein von Friedensbewegten zugesellt, die dank günstigem Westwind Luftballons mit und ohne Friedensbotschaften gen Osten fliegen ließen. Insofern, als womöglich einige Ballons nicht nur bei der Stasi, sondern  auch  bei Bärbel Bohley, Ulrike Poppe und anderen landeten, war die Westaktion vielleicht mehr als nur gut gemeint.

Danach verlor ich Giselher Suhr aus den Augen. Ich begegnete ihm erst wieder digital nach meinem mit Bedenken vollzogenen Beitritt zu den Facebook-"friends" im November 2016. Er schrieb: "Lieber Herbert, hab Dank für Deine FB-Freundschaft. Nun sage ich zu Freunden, auch wenn sie nicht grade meiner Meinung sind, gerne ´du´. Ist das OK? Dann freue ich mich auf Infos, Diskussion und mEHR. Als dein FB-Freund GiselHER."

Zu einem intensiveren Austausch von "Infos" und mehr ist es dann doch nicht gekommen. Ich erfuhr nur, dass Giselher Suhr der AfD beigetreten war. Auf seinem FB-Selbstporträt postete er "Nie wieder SPD".  Außerdem "outete" sich Giselher Suhr, geboren - mutmaßlich als Flüchtlingskind - am 14. August 1945 in Tauberbischofsheim,  als Mitglied der - naturgemäß revanchistisch-faschistischen - Facebook-Gruppe "Schlesier". Außerdem gehörte er einer mit "Freunde Israels" oder so ähnlich betitelten Fb-Gruppe an.

Am 14. August 2018 sandte ich Giselher Suhr einen Fb-Gruß: "Alles Gute zum Geburtstag!.
Und gute Laune trotz allem (und fast aller)!"  Seine Antwort: "Merci! Jetzt erst Recht, Rechtswahl... ´rechts´ statt Rechtswahl.... ( Tippfehler)". Heute stieß ich in der FAZ auf die Todesanzeige. 
Giselher Suhr ist nach langer Krankheit am 22.8.2018 gestorben. 

In der für Demokratinnen und Demokraten für biographische und politikwissenschaftliche Zwecke unentbehrlichen Allwissensquelle "Wikipedia" ist u.a. folgendes zu lesen: "Suhr trat 1965 in die SPD ein, er war Anhänger der Ostpolitik Willy Brandts. Auch die Agenda 2010 befürwortete er, doch wuchs nach Jahrzehnte langer Zugehörigkeit die Distanz zur Partei. Er wurde AfD-Mitglied und stellte Interviews mit und Auftritte von AfD-Politikern auf seinem Youtube-Kanal ein."

Klar doch - all das reicht zur demokratisch korrekten (e.g. "indymedia", "Spiegel", Göring-Eckardt (etc.) Klassifikation als "Nazi". Trotz alledem und trotz allem Irrsinn in diesem unserem Land: R.I.P.