I.
Vorbemerkung:
Der Historiker Michael Wolffsohn feierte in diesen Tagen seinen 70. Geburtstag. Anstelle einer Laudatio, in der die Verdienste Wolffsohns als Stimme der humanen und versöhnenden Vernunft zu würdigen wären, stelle ich eine Buchbesprechung vor, die ich 1991 während des ersten Golfkrieges gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein verfasste. Obgleich vor langenJahren erschienen, hat der Text angesichts der kontinuierlich von politischen Erregungswellen erfassten deutschen Gesellschaft nichts an Aktualität eingebüßt.
Die Besprechung zu Michael Wolffsohn: "Keine Angst vor Deutschland" (Erlangen-Bonn-Wien 1990) erschien in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung v. 04.03.1991 unter dem Titel "Der deutsche Michel als Softy".
II.
Am
Golf ist Krieg [1991], und die Deutschen begehren, nicht schuld dran
zu sein. Eine Erklärung für diese Haltung, in der Friedensbewegte
und Bonner Regierende gar nicht so weit entfernt scheinen, findet der
Leser in einem Essay von Michael Wolffsohn: „Neudeutsche
Außenpolitik oder: Der deutsche Michel als Softy“. Die Deutschen
hätten - „süße Früchte der Umerziehung“ durch Uncle Sam –
der machtpolitischen Versuchung abgeschworen, was ihnen nun bereits
wieder als „Machtvergessenheit“ angekreidet wird.
Die
hier publizierten Essays und Fallstudien verfasste Wolffsohn im Jahr
der durch die „Deutsche Oktoberrevolution“ wiedergewonnenen
Einheit, als das Entsetzen über den angeblichen „deutschen
Nationaltaumel“ weithin zum guten linksintellektuellen Ton gehörte.
Wolffsohn widerspricht den Kassandra-Rufen: die vielbeschworene Angst
der Nachbarn entsprang im wesentlichen der Abneigung der Eliten, den
Status quo, die als Stabilitäts-garantie empfundene deutsche
Teilung, in Frage zu stellen. Die in Umfragen ermittelte öffentliche
Meinung des Auslands – mit Ausnahme Polens – zeigte für eine
friedliche Wiedervereinigung überraschend früh und zunehmend
Verständnis. Nicht zufällig sank jedoch die Zustimmungsquote in den
Vereinigten Staaten in den achtziger Jahren von einer Mehrheit auf
nur noch 36 Prozent. Besonderes Interesse verdienen divergierende
Reaktionen auf die deutsche Dynamik nach dem Fall der Mauer in Israel
sowie in der jüdischen Diaspora. Elie Wiesel, der unter Bezug auf
den Holocaust die Wiedervereinigung ablehnte, sprach durchaus nicht
im Namen der Juden, wenngleich für eine Mehrheit der amerikanischen
Juden.
Zu
den eher peinlichen Episoden der „Sanften Deutschen Revolution“
zählt Gregor Gysis wiederholter Appell an die jüdische Welt, die
Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu verhindern. Aber auch im
Westen Deutschlands gedachten Protagonisten wie Günter Grass und
Walter Jens, mit dem Auschwitz-Argument die Wiedervereinigung
abzuwenden.
Wolffsohn
stellt die verquere Logik noch einmal historisch richtig –
machtpolitische, nicht moralpolitische Motive diktierten die deutsche
Teilung. Sonst im Ton moderat, polemisiert er hier scharf gegen die
ideologische Zwecknutzung der „Auschwitz-Keule und des
Weimar-Hammers“ durch „Profi-Moralisten“ und
„Profi-Historiker“, die von Auschwitz als „Schamschwelle“
reden, dabei „objektiv schamlos, wenngleich subjektiv und gewiß
aufrichtig“ den Holocaust als ästhetisches und politisches
Kunstmittel verwenden, „Die manipulative Instrumentalisierung von
Auschwitz...schändet das Andenken der millionenfachen Opfer
nationalsozialistisch-deutscher Schandtaten.“
Mit
seinen Thesen erregt Wolffsohn Anstoß: bei den „ganz Rechten“,
deren antisemitischen Nerv er trifft, bei den „ganz Linken“,
darunter manchen Grünen, deren ständige Warnungen vor der „rechten
Gefahr“ er als „Widerstandsspiel der Nachgeborenen“
abqualifiziert, sowie bei manchen jüdischen Glaubensgenossen.
Jüdische Amtsträger und „besonders alternative Juden“ fühlen
sich durch seine These von der „jüdischen Selbstamputation“ -
der Reduktion jüdischer Identität auf den Holocaust – getroffen.
Wolffsohn
irritiert seine Kritiker durch sein Selbstverständnis als
deutschjüdischer Patriot. Unter Patriotismus versteht er zunächst
ganz unpathetisch „die lebenswerte Gestaltung des Vaterlandes nach
innen und außen“. Diese Art von Verfassungspatriotismus bezog
sich, wie er eingangs selbstkritisch anmerkt, vor der Wende in der
DDR lediglich auf den west-deutschen Staat. Erklärlich wird das
Selbstzeugnis, wenn Wolffsohn behutsam von seinen „eigentlich nur
positiven Lebenserfahrungen in Westdeutschland“ spricht. Im
längsten Kapitel des Buches belegt er diese Feststellung mit
mehreren Fallstudien zum Thema „Vergangenheitsbewältigung“. Die
Bundesrepublik in der Ära Adenauer, so lautet Wolffsohns Fazit, war
besser als ihr Ruf, nicht nur im Vergleich zum „Antifaschismus“
in der DDR und zur notorischen Praxis in Österreich. Natürlich weiß
auch Wolffsohn, der die unzureichende Strafverfolgung anhand exakter
Zahlen belegt, dass die juristische Vergangenheitsbewältigungkein
bundesrepublikanisches Ruhmesblatt war. Doch nicht nur die Vialons
und Globkes prägten das Gesicht der frühen Bundesrepublik. Namen
wie Adolf Arndt, Ernst Benda, Martin Hirsch und Adalbert Rückerl
stehen für eine unzweideutige Aufarbeitung der Vergangenheit im
westdeutschen Rechtswesen.
Entgegen
der von der „westdeutschen Bewältigungslyrik“ gepflegten
„Legende von der zweiten Schuld“ konstatiert Wolffsohn anhand
historischer Fakten einen fortschreitenden Läuterungsprozess, der
lange vor dem großen Aufbruch der achtundsechziger Generation
einsetze. Zu Recht bezeichnet er den Publikumserfolg der Neuauflage
des „Tagebuches der Anne Frank“ im Sommer 1955 als ein
„moralisch-historisches Urereignis“. Ließen 1949 noch 39
Prozent der Westdeutschen antijüdische Einstellungen erkennen, so
stieg die Zahl derer, die für eine Bestrafung antisemitischer
Aktivitäten eintraten, bis 1958 von 17 auf 46 Prozent. Im Januar
1960 waren es bereits 78 Prozent. Diese Umfrage fiel in jene Welle
von Hakenkreuzschmierereien und Grabschändungen 1959/60, die als
Zäsur in der politischen Kultur Nachkriegsdeutschlands gelten kann.
Die historische Pointe: Gesteuert wurde die antisemitische Kampagne
von östlichen Geheimdiensten, wie schon 1970 ein
tschechoslowakischer Überläufer aufdeckte.
Nicht
zuletzt die klare Haltung maßgeblicher Nachkriegspolitiker, mit
Adenauer an der Spitze beförderte den westdeutschen
Bewusstseinswandel. Dass der „Alte“ im Sinne deutscher
Schuldabtragung konsequent „Geschichtspolitik“ betrieben habe,
zeigt Wolffsohn am Beispiel der Wiedergutmachung. Ähnlich hielt sein
Nachfolger Erhard den moralisch motivierten Kurs während der
Nahostkrise 1964/65, als im Labyrinth von Politik, Waffen, und Moral
die Hallstein-Doktrin zu Bruch zu gehen drohte, gegenüber der kühl
interessenpolitisch fixierten Linie des Außenministers Schröder.
Die
tieferen Quellen seines unzeitgemäßen Patriotismus erschließen
sich aus Wolffsohns Reflexionen der Identitätsfrage: „Wer sind
wir?“ Da geht es statt der Serienproduktion geschichtspolitischer
Platten“ um die Verkettung jüdischer und deutscher Existenz nach
Holocaust. „Was sagt man nach einem solchen Urverbrechen? Am besten
nichts“ . Ein großes Schweigen, das nichts mit Verschweigen zu tun
hat. Im Anschluss an Jaspers´ begriffliche Differenzierung nähert
sich Wolffsohn der Schuldfrage als der „deutschen Seinsfrage“:
Die politische Schuldfrage bleibt den Deutschen als Volk auferlegt,
einzulösen durch ihr Verhältnis zum jüdischen Volk, durch
„Judenpolitik“. Gleichwohl: „Schuld ist nicht erblich.“
Dass
die säkularisierte Gesellschaft die metaphysische Schuldfrage nicht
ausklammern kann, wird mehrfach angedeutet, nicht zuletzt in der
Kritik an „sinnentleerten Schuldritualen“. Wenn Wolffsohn für
den 9. November als nationalen Gedenktag des vereinten Deutschlands
plädiert, so aufgrund der vielfältigen Bezüge dieses Datums.
Dahinter steht auch das Empfinden eines jüdischen Deutschen, der –
in seiner Kritik an der gedankenlosen Aneignung von Wörtern wie
„Holocaust“ und „Shoah“ - an Friedrich Meineckes Begriff der
„deutschen Katastrophe“ erinnert. „Die Katastrophe“ wäre
nicht nur im wörtlichen Sinne eine angemessene Übersetzung des
hebräischen „Shoah“. Hitlers Krieg, in dem Deutsche die
unsäglichen Verbrechen begingen, „war auch eine deutsche
Katastrophe“.
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