Die Glaskuppel über dem Plenarsaal des Bundestags im Reichstag
verdankt ihre Existenz einer ästhetischen Nachbesserung des Architekten
Norman Foster, der ursprünglich - zwecks demokratischer Transparenz-
eine flache Glasschale über dem Gebäude vorgesehen hatte. Foster
wiederum hatte anno 1993 von der Jury, genauer: von einer
Konzeptkommission des Bundestags, den Zuschlag gegenüber dem Entwurf des
Spaniers Santiago Calatrava erhalten, der mit einer hochgezogenen
Kuppel dem mächtigen Wallot-Bau eine "leichtere" Gestalt gegeben hätte.
Dank Foster dürfen wir uns jetzt an dem durchsichtigen Eierbecher
erfreuen.
Auf die Zuschauerrränge über dem lichtreichen
Plenarsaal gelangen die Besucher (sc. -innnen m/w/d), hauptsächlich
Schulklassen, zum Anschauungsunterricht "gelebter Demokratie" mit einem
Ticket und nach sorgfältigem elektronischen Screening. Selten erleben
sie eine voll besetzte Plenarsitzung, denn meistens befinden sich die
Abgeordneten entweder in einer Ausschuss- oder Fraktionssitzung, in der
Kaffeepause oder bei medienwirksamen Auftritten. Während der Debatten
im gewöhnlich weniger als halbleeren Plenarsaal bekommt das Publikum
dann pathetisch vorgetragene Fensterreden zu hören und zu sehen, die sie
ebensogut auf "Phoenix" oder in Kurzversion in den TV-Nachrichten
erleben könnten. Gewiss, derlei Riten gehören zur Praxis der
parlamentarischen Demokratie.
Spannend für uns parteilich
ungebundene Zuschauer, nein falsch: für das als Souverän aufgerufene
Wahlvolk, wird sodann die Eröffnungssitzung nach der durch Ausfall der
Ampel bedingte Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Gelingt der Partei
"Die Linke" - dank Scheitern des Ampel-Wahlgesetzes vor dem
Verfassungsgericht - noch einmal
der Einzug in den Bundestag, und wird dann der - auch als Kanzelredner
in der Evangelischen Kirche beliebte - Gregor Gysi als Alterspräsident
präsidieren? Wird es - TV-perspektivisch vom Präsidium aus gesehen -
rechts von der CDU/CSU-Fraktion noch ein Grüppchen von FDP-Leuten - als
Brandmauer zur mächtig angewachsenen AfD - zu sehen geben? Oder zieht
anstelle der alten " Die Linke" mit dem BSW eine neue linke Kraft - mit
für Demokraten der weitgespannten Mitte auch "rechts" klingendem
Vokabular - in den Bundestag ein?
Den Umfragen zufolge kann Sahra Wagenknecht derzeit kaum auf ein spektakuläres Ergebnis rechnen, wohl aber die AfD, auch ohne direkte Geldspende von Elon Musk, wohl aber dank dessen verbal zugespitzter Unterstützung. Damit stehen wir mündigen Bürgerinnen und Bürger vor einer schwierigen Rechenaufgabe: Reicht es - begrifflich fast so degoutant wie "Deutschlandfahne" - für eine "Deutschlandkoalition" in der Kombination von CDU/CSU, SPD und FDP? Wohl eher nicht. Zielt Friedrich Merz, dank "vorbehaltloser" Unterstützung durch Markus Söder, anders als Habeck und Weidel der de facto einzig aussichtsreiche Kanzlerkandidat, entgegen allen Beteuerungen am Ende doch auf Schwarz-Grün, wenn es denn für eine knappe Koalitionsmehrheit genügen sollte? Oder kommt es zu einer Wiederauflage der GroKo?
Wahlversprechen gelten bekanntlich nur bis zum Abend des Wahltags. Das gilt auch für die wahlkämpferischen Aussagen des CDU-Kanzlerkandidaten. Derlei Wissen macht dem/der auf einen realen "Politikwechsel" hoffenden Wechselwähler/-in die Wahl schwer. Selbst wenn es - entgegen aller Wunschvorstellungen der Qualitätsmedien - nicht zu Schwarz-Grün kommen dürfte, sondern zu Schwarz-Rot, wird es in den entscheidenden Fragen wenig Veränderung geben. Die entscheidenden, miteinander verquickten Fragen sind: erstens, die Energiekrise, die maßgeblich die Wirtschaftskrise - mehr als eine zyklische Rezession - hervorgebracht hat; zweitens, Rentensicherung und Altersarmut; drittens, die ungeachtet reduzierter Zahlen ungehindert anhaltende Einwanderung und damit viertens: die mit Schlagwörtern ("Integration", "Fachkräfte" "humanitäre Pflicht" etc.) vernebelte Problematik der kulturell-sozialen Transformation der deutschen Gesellschaft.
Hinter diesen primär innenpolitischen Themen tritt die zentrale außenpolitische Frage hervor: Wie geht es weiter mit dem Krieg in der Ukraine? Wie wird Trump agieren? Wie stark ist der um unsere demokratischen Werte unbesorgte Putin? Und ist der für einen "Deal" - auf Kosten der wertebewussten Ukraine - überhaupt bereit?
Auf die letzten Fragen weiß keine - außer den Grünen sowie anderen "kriegstüchtigen" Protagonisten - der zur Wahl stehenden Parteien eine Antwort.Wir gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Wo soll der Souverän - a.k.a. der "mündige Bürger" (sc.-in) - seine zwei Kreuze auf dem Wahlzettel machen? Auf die Aufstellung der Listen und das innerparteiliche Gerangel hatte er ohnehin keinen Einfluss.