Sonntag, 10. Dezember 2017

Prolegomena zur mutmaßlichen Weihnachtsbotschaft

I.
Ein vorzeitiges Geschenk kam von der Kanzlerin. Obgleich ihre Energien vom Regieren, von Sondierungen – diesmal mit der SPD nach der Kehrtwende des großen Europäers Martin Schulz – zur Fortsetzung der wahlbedingt für einige Monate virtuell suspendierten Großen Koalition sowie – mutmaßlich „ein Stück weit“ - von der Sorge um den von Trump gestörten Frieden im Heiligen Land absorbiert sind, nimmt sie sich Zeit in diesen Adventstagen, ein Jahr danach, zu einer teilnahmsvollen Aussprache mit den Familien, die bei der misslichen Todesfahrt des Zuwanderers Amri Opfer zu beklagen hatten.

Gute Trauerarbeit will Weile haben, zumal, wenn es sich um Tote handelt, die bis zum 19. Dezember 2016 schon länger in diesem Lande gelebt hatten. Das Gespräch der Kanzlerin mit den Angehörigen kommt etwa zeitgleich mit der Vollendung eines Kunstwerks, mit dem in Form eines aus wetterfestem Material gefertigten Risses – der geht bekanntermaßen mitten durch unsere Gesellschaft – der letztjährigen Weihnachtsmarktopfer gedacht werden soll. Der spirituellen Vollendung der bundesrepublikanischen Kunst zu trauern dient – wenngleich in räumlicher Distanz zur von Glühweinduft umwölkten Gedächtniskirche - die Erektion der drei syrischen Trauerbusse vor dem Brandenburger Tor.

II.
Entsprechend eingestimmt, sehen wir dem Gottesdienstbesuch zu Heiligabend entgegen, wo uns die zeitlose Weihnachtsbotschaft erwartet: „...denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“ (Lukas 2,7). Mutmaßlich - nein, mit Sicherheit, knüpft die Pastorin/der Pastor daran exhortative Reflexionen über das Elend der Geflüchteten (refugees) und der trotz bedenklicher Wetterlage am libyschen Küstensaum ausharrenden, von Schleppern erpressten, von warlords bedrohten, von Sklavenhändlern verkauften Migrationswilligen. Ein teilnahmsvolles Wort fällt auch für die Obdachlosen ab, von denen der erste in diesen kalten Dezembertagen bereits erfroren ist, während andere von politisch nicht mehr ganz eindeutig zuzuordnenden Personen gewohnheitsmäßig mit Tritten traktiert werden.

So rechte Weihnachtsfreude will danach trotz Friedensbotschaft und abschließender Weihnachtshymne („O du fröhliche...“) nicht mehr aufkommen. Beim Ausgang wird dem Kirchensteuerzahler der einsehbar flache Korb für seine Spende für „Brot für die Welt“ präsentiert. Wer will, kann die Spende in einen Umschlag mit Adresse stecken, um sich eine einkommensteuerabzugsfähige Quittung zusenden zu lassen. Ein ähnlicher Brief mit Spendenquittung liegt bereits vor. Auch Adveniat verfügt trotz Datenschutz über die Adresse und hat sich bereits brieflich gemeldet Wir haben indes bereits für Bethel gespendet – wohl wissend, dass auch für diesen guten Zweck – wie allgemein in der Sozialindustrie - eine erheblicher, Arbeitsplätze schaffender Organisationsaufwand erforderlich ist. (Nicht abzugsfähige Spenden erwarten in diesen Tagen die Müllmänner, der Zeitungsbote usw.)

III.
Was in der Ansprache des Bundespräsidenten Steinmeier am ersten Weihnachtstag – Deutschland gehört diesbezüglich monokulturell mit zwei Feiertagen weltweit zu den Führungsmächten - zu hören sein wird, weiß der Bundesbürger schon im voraus: fromme Worte, ohne biblische Zutaten.

An der bedrückenden, politisch brisanten Problematik ändern all die Worte – rund ums Jahr bekommen wir kaum anderes zu hören – nichts. Es ist unklar, ob die Eliten – in Kollaboration mit den „zivilgesellschaftlichen“ Moraleliten - mit der Hinnahme bzw. Förderung unverminderter Einwanderung aus aller Welt den Bevölkerungsschwund in den „reichen“ Ländern (West-)Europas zu kompensieren gedenken. Bereits in den 1990er Jahren operierte eine von Rita Süßmuth (CDU) bestellte Kommission mit einer angeblich erforderlichen Zahl von 400 000 Einwanderern per annum. Inzwischen sind wir real – mit oder ohne (flexible) „Obergrenze“ - in einem Zahlenbereich von 300 000 (Asylsuchende, Asylberechtigte, Nachzugsberechtigte etc.) angelangt. Unklar ist, wie eine kontrollierte, „gesteuerte“ Einwanderungspolitik –  die AfD macht sich rhetorisch für das kanadische Modell stark – auszusehen hätte. Unklar ist ferner, wie angesichts der unterschiedlichen Geburtenquoten der „bildungsfernen“ Schichten (aus- und inländischer Herkunft) sowie des Verfalls unseres einst vorbildlichen Bildungssystems die ökonomisch-soziale Leistungsfähigkeit – und der innere Friede - bewahrt werden soll, von den tabuisierten Aspekten von „Multikultur und Integration“ ganz abgesehen.

Keiner der „Experten“ - weder die wohlmeinenden noch die mit mehr Sachverstand ausgestatteten - hat eine Antwort auf die Frage nach der Bevölkerungsentwicklung in Afrika und deren politische Folgen. Allein im subsaharischen Afrika erwartet man bis 2050 eine Verdoppelung der Bevölkerung von derzeit 1,2 Milliarden Menschen. Schätzungen sprechen von etwa  60 Millionen, die gegenwärtig auf eine Chance zum Absprung nach Europa sinnen. Wirtschaftlich und politisch stabile Länder wie Botswana sind an einer Hand abzuzählen. Krieg, Korruption, Misswirtschaft und Elend in vielen ehemaligen Kolonien (wie Südsudan, Simbabwe oder Eritrea als Beispiele unter vielen) sind weithin selbstverschuldet und nicht etwa neokolonialer Ausbeutung zuzuschreiben. Wie in einem instabilen Staatsgebilde wie Nigeria menschenwürdige Zustände für 185 Millionen zu erreichen wären, überfordert die Phantasie von Optimisten. Mit ungewissen Erwartungen verfolgen wir die Lage in Südafrika, wo nach dem Ende des Apartheid-Regimes alle Voraussetzungen für eine den ganzen Kontinent befruchtende Entwicklung gewährleistet schienen.

IV.
Die bedrängenden politischen Zukunftsfragen werden – außer unter dem moralisch bequemen Rubrum Xenophobie sowie mit der geistig bequemen Formel „Bereicherung“ – von der politischen Klasse in diesem unserem Land und/oder der EU kaum je zum Gegenstand politischer Debatte gemacht. Für die Exponenten der global economy ebenso wie für die Mehrheit der ihrem Selbstverständnis nach weltoffenen Bildungseliten handelt es sich um lästige Scheinprobleme von hinter der Zeit zurückgebliebenen Bevölkerungsgruppen. Fragen nach den Voraussetzungen und dem Sinn humaner Existenz im säkularen, postchristlichen Europa werden zur unfrohen Weihnachtszeit – rein terminologisch bedürfte die mit Tannengrün global verbreitete deutsche Kulturtradition jüngeren Datums eigentlich keiner  begriffsneutralen „Winterzeit“ - nach Möglichkeit eskamotiert.

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