Freitag, 15. November 2024

Unzeitgemäße Gedanken zum "Volkstrauertag"

I.

Am kommenden Sonntagabend erwarten uns - abstinente oder widerwillige - TV-Konsumenten folgende Szenen: Zum Volkstrauertag findet eine Gedenkstunde im Bundestag statt, in der  "an die Opfer  von Gewalt und Krieg aller Nationen" (https://de.wikipedia.org/wiki/Volkstrauertag) gedacht wird. Für die diesjährige Feier wurde als Hauptredner  der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis gewonnen. Zwei Fragen sind dabei offen: 1) Wie behandeln die von ihren Fraktionen bestellten Redner (bzw. deren Redenschreiber) das Thema Ukrainekrieg? 2) Wie reagieren die anderen Parteien, wenn der/die Redner/in der AfD auftritt?

Sodann sehen wir in den TV-Nachrichten, wie der Bundespräsident, vermutlich begleitet von einigen Vertretern der Bundeswehr, einen Kranz mit schwarz-rot-goldenen Schleifen in der Neuen Wache Unter den Linden niederlegt, um der Opfer der Kriege und der Opfer der von Nazi-Deutschland verübten Verbrechen zu gedenken.  

Der Volkstrauertag heißt ungeachtet seines völkischen Anklangs - und der bestenfalls indifferenten Anteilnahme der mit eigenen "Erzählungen" beschäftigten Staatsbürger mit Migrationshintergrund - noch immer so. Ein im engeren Sinne "nationales" Gedenken an die deutschen Kriegsopfer sowie der Gefallenen der beiden Weltkiege ist am Volkstrauertag nicht vorgesehen.  Immerhin  gedenkt man - Gegenstand einer weiteren TV-Szene - neuerdings auch der bei  - erfolglos abgebrochenen - Kriegseinsätzen (Afghanistan, Mali) sowie - als sei dies identisch - bei Unfällen im Dienst zu Tode gekommenen Soldaten und Soldatinnen (in ungegenderter Reihung) der Bundeswehr. Die entsprechende Pflichtübung fällt dem noch amtierenden Verteidigungsminister Boris Pistorius zu, den - im Hinblick auf  den bereits stattfindenden Wahlkampf - einige Auguren als zugkräftigeren SPD-Kanzlerkandidaten gegenüber dem an der "Schuldenbremse"  gescheiterten Ampelkanzler Olaf Scholz ins Spiel gebracht haben.

Der deutsche Gedenktag fällt in das  dritte Jahr des von Russlands Herrscher Putin am 24. Februar 2022 eröffneten Krieges gegen die Ukraine. Ob bei dessen Erwähnung der Kriegsopfer auf beiden Seiten gedacht wird, ist nicht anzunehmen, denn die Sympathien der meisten Deutschen und ihrer politischen Klasse - ausgenommen, versteht sich, AfD und BSW - liegen noch immer bei der Ukraine, dem Opfer des Aggressors Putin. Das könnte sich jedoch ändern, wenn der derzeit in die Defensive gedrängte Präsident Selenskyi von den Deutschen noch mehr Geld und/oder endlich die Lieferung von Taurus-Raketen fordern sollte, was den vom Grundgefühl  pazifistisch gestimmten Deutschen missfallen dürfte.

II. 

Ach ja, die heutigen Deutschen tun sich schwer mit ihren Gedenktagen, erst recht mit dem Gedenken an ihre Kriegstoten. Lange waren sie eingestimmt auf "Frieden schaffen ohne Waffen". Doch jetzt müsse Deutschland wieder "kriegstüchtig" sein, so proklamierte es unser Verteidigungsminister  anlässlich der am 24. Februar 2022 eingetretenen "Zeitenwende" (Scholz). Nicht überraschend sind seit dem Ukrainekrieg - vom Gazakrieg abgesehen - die Friedensparolen der Evangelischen Kirche, in den 1980er Jahre Hauptträger einer gegen "neue Nato-Raketen" gerichteten Friedensbewegung, hörbar verstummt.

Kriegstüchtig? "Kriegstüchtig" heißt nicht nur höhere Militärausgaben, heißt nicht nur Krieg mit Distanzwaffen wie Drohnen, Raketen und weitreichenden Feldhaubitzen. "Kriegstüchtig" heißt Vorbereitung auf Kampf, Zerstörung, Töten, Verstümmelung und Sterben.   

III.

"Troja hört nicht auf zu brennen", lautete der Titel eines Essays des Philosophen Peter Furth. (Siehe H.A.: https://www.globkult.de/gesellschaft/besprechungen-gesellschaft/862-eine-kritik-der-deutschen-zivilreligion-aus-dem-geist-der-tragoedie). Auf die Gefahr hin, von übelwollenden Zeitgenossen bewusst missverstanden zu werden, zitiere ich Auszüge aus dem Interview, in dem der 100jährige Kurt Meisner, ein aus Landsberg a.d.Warthe (heute Gorzów Wielkopolski) stammender Überlebender des Krieges, in den er 1942 als Siebzehnjähriger - noch als Arbeitsdienstleistender-  hineingeriet, in der ungeliebten "Jungen Freiheit" über seine Kriegserfahrungen berichtete (in: JF Nr. 47 v. 15.11.2024, S. 12). Das Interwiew führte Moritz Schwarz.

[...]  

Wie verarbeitet man das?

Meissner:  Danach hat keiner gefragt. Es war ja damals viel vom Heldentod die Rede. Ich aber habe die Realität in ihrer äußersten Brutalität kennengelernt - all die furchtbar Verwundeten, die Verstümmelten, die Sterbenden und die Toten, die ich so jung und völlig unvorbereitet sehen mußte und die bis heute in meiner Erinnerung sind...

Wie war es, mit 17 töten zu müssen?

Meissner: Auch das ist schrecklich. Aber wenn es heißt, er oder ich, dann zögern Sie nicht. Als MG-Schütze habe ich später viele Russen getötet, furchtbar. Doch so auf die Entfernung ging es noch. Aber ich war auch in Nahkämpfe verwickelt und mußte einmal einen jungen Russen mit meinem Dolch erstechen. Ich habe immer wieder an ihn gedacht und daran, daß auch er eine Mutter hatte, die hoffte und betete, er würde zu ihr heimkehren. 

[...]

Sie waren von Ihrem Kampf nicht überzeugt?
Meissner: Von unserem Kampf schon, denn wir kämpften schlicht ums nackte Überleben, aber nicht von diesem Krieg.
 
Wie hatten Sie bei Ausbruch [des Krieges] über ihn gedacht?
Meissner: Da war ich 15, und dachte natürlich Unsinn wie, er möge nicht so bald vorbei sein, damit ich ihn nicht verpasse. Denn die Heldengeschichten, die man uns darüber erzählte, gefielen uns natürlich.
 
Hatte man in Ihrer Familie denn keine politische Meinung,etwa zu den ihm vorausgehenden Streitfragen um Danzig oderden polnischen Korridor?
Meissner: Mein Vater, ein Bahnangestellter, war zwar SA-Mann, aber nur um beruflich voranzukommen. Mir selbst gefiel es im Jungvolk ganz gut, nicht aber später in der HJ, weshalb ich möglichst viele Lehrgänge besuchte, um nicht am normalen HJ-Dienst teilnehmen zu müssen. Stattdessen lernte ich nützliche Dinge, die mir später im Krieg das Leben retteten. 
 
Bis 1938 hatte ich allerdings nichts gegen die Nazis, doch als die Synagogen brannten, und ich anderentags die eingeschlagenen Schaufenster der jüdischen Geschäfte sah, waren sie bei mir unten durch, denn so etwas macht man nicht!
 
Fühlten Sie keinen Patriotismus? Viele junge Deutsche, die damals in den Krieg zogen, glaubten ja daran, das Vaterlandzu verteidigen?
Meissner: Nein, patriotisch war ich nie. Ich kämpfte nicht für Deutschland, sondern weil mir keine andere Wahl blieb. Ich kämpfte um mein Leben und für das meiner Kameraden.
 
Spielte es für Sie keine Rolle, daß Deutschland bei einer Niederlage die Vernichtung drohte?
Meissner: Die Niederlage war für mich schon ausgemachte Sache. Denn Sie müssen bedenken, als ich an die Front kam, gab es nur noch Abwehrkämpfe und Rückzug. Einen Sieg, das war klar, würde es nicht mehr geben – und so ist es ja auch gekommen.
[...]
Was ist mit ihrer Heimat? 

Meissner: Ja, das war schrecklich, daß wir nach dem Krieg nicht mehr nach Landsberg zurückkonnten. Ich vermisse meine Heimat noch heute. Aber es war nicht zu ändern...

Wie sind Sie mit all dem nach dem Krieg zurechtgekommen?

Meissner: Ich habe das mit mir selbst ausgemacht, da ich nie jemand war, der viel darüber geredet hat. Nach dem Krieg hatten wir nichts mehr, nicht einmal mehr eine Heimat. Erst mußte man am Leben bleiben, die Hungerwinter überstehen und dann wieder aufbauen. Ich denke manchmal, mein Gott, was wir ertragen mußten! Und die Jugend jammert, weil sie zu viel arbeiten muß und nicht genug Party machen kann. Ich habe Sorge, daß diese Generation - der alles zu fehlen scheint, womit wir uns durchgebissen und unter alle den Trümmern wieder hervorgearbeitet haben - das, was wir hier aufgebaut haben, nicht wird halten können. 

 
Interessiert sich die Jugend für Ihre Erlebnisse?
Meissner: Nein, ich bin jetzt hundert und fast meine ganze Generation ist tot, alle die mich noch verstanden haben. Zwar habe ich eine Tochter und Enkeltochter, aber sie kennen meine Welt nicht
mehr. Ich bin im Grunde sehr einsam. Oft denke ich an all die Verstorbenen und meine vielen gefallenen Kameraden, die im Krieg geblieben sind. Es wird Zeit, daß auch ich gehe.

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