Montag, 27. Februar 2023

Krieg ohne Aussicht auf einen "gerechten" Frieden

I.

Mein zuerst auf auf https://globkult.de/geschichte/zeitgeschichte/2273-die-ukraine-und-die-aktualitaet-des-peloponnesischen-krieges unternommener Versuch, die Hintergründe des von Putin vor einem Jahr eröffneten Ukraine-Krieges  zu entschlüsseln und - ausgehend von der derzeitigen Lage - die geringen Aussichten auf eine Art "Frieden" zu definieren, ist in aktualisierter Version auf Tichys Einblick erschienen: "Die Aussichten auf einen "faulen" Nikias-Frieden" (https://www.tichyseinblick.de/meinungen/ukraine-krieg-nikias-frieden/

Dort hat er in 51 Leserkommentaren breite Resonanz - und mehrheitlich Zustimmung - gefunden. Es geht - jenseits eines schlichten Schwarz-Weiß oder Gut-Böse Schemas - um eine Analyse des Ursachengeflechts des Kriegsgeschehens sowie um eine Abwägung der Chancen auf einen bestenfalls "faulen" Nikias-Frieden.

II.

Für die Leser (m/w) meines Blogs zitiere ich aus meinem Aufsatz auf TE folgenden Auszug:

Mit der...auf amerikanisches Drängen von der Bundesregierung beschlossenen Lieferung von deutschen Kampfpanzern an die Ukraine sowie dem ukrainischen Drängen auf weitere Waffensysteme geht der Krieg in eine weitere Etappe. In das Eskalationsmuster fügt sich die überraschende Reise des amerikanischen Präsidenten Biden nach Kiew und nach Warschau, verknüpft mit Zusagen weiterer Hilfe an Selenskyi. Ob Reaktion oder längst geplanter Schritt im Großmacht-Konflikt – in großer Rede suspendierte Putin die russische Beteiligung an dem mit den USA anno 2010 geschlossenen Abkommen zur Begrenzung von Nuklearwaffen (New Start). Er gab dem Westen die Schuld am Ukrainekrieg und demonstrierte russische Siegesentschlossenheit.

Vor diesem Hintergrund hat sich die deutsche Öffentlichkeit – sprich: das politisch engagierte Publikum - in zwei Lager gespalten: Die eine Seite- befürwortet die umfassende Unterstützung der Ukraine gegen Russland unter Putin, die andere Seite – durch den Aufruf von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer spektakulär hervorgetreten – warnt vor weiterer Eskalation und plädiert – implizit - für eine deutsche Friedensinitiative. 

Beide Seiten vermeiden eine Analyse der komplexen, für das Kriegsgeschehen ursächlichen und für dessen künftige Entwicklung – und für eventuelle Friedensaussichten – schwer berechenbaren Faktoren. Zusammengesetzt aus Machtverhältnissen und -projektionen, Interessen, Psychologie, Ideologie, militärischem Potential, Ressourcen und Strategie, ergibt sich ein „modernes“ politisches Puzzle. Eine Auflösung des Ukraine-Rätsels scheint in mehreren Varianten denkbar. Sofern wir eine Eskalation bis zum Einsatz von Atomwaffen ausschließen, dürfen wir über folgende Alternativen eines Kriegsausgangs spekulieren: a) der „totale“ Sieg der einen oder anderen Seite b) beidseitige Erschöpfung, die am Ende zu einem wie immer gearteten Kompromissfrieden nötigt c) ein Regimewechsel in Moskau oder Kiew, der den Weg zu Verhandlungen eröffnet d) ein nachlassendes Interesse der USA, ein „Einschlafen“ des Krieges auf dem Gebiet der Ukraine sowie ein Erstarren der Fronten im Donbass.

Vorerst ist – mit Ausnahme der auf einen Sieg der Ukraine eingeschworenen deutschen Grünen - an die Realisierung einer der genannten Varianten – nur schwer zu denken. Aus westlicher Sicht handelt es sich um einen - gemäß UN-Satzung völkerrechtlich sanktionierten – reinen Verteidigungskrieg der ihre staatliche Souveränität, ihre territoriale Integrität und ihre Demokratie und Freiheit verteidigenden Ukraine gegen den russisch-imperialen Aggressor Putin. Aus dieser Sicht, bestätigt und geschärft durch tagtägliche Bilder des Grauens und Leidens, ist unzweideutige Parteinahme geboten: Es geht um die Wahrung des Völkerrechts, allgemein um die Verteidigung des Rechts gegen die Amoral brutaler Macht.

Dass es sich – jenseits aller völkerrechtlichen und mdoralischen Aspekte des Krieges - um einen Großmachtkonflikt zwischen den USA und Russland handelt, wird hierzulande kaum diskutiert, ist in der amerikanischen Debatte als Thema deutlich präsent. Zuletzt lenkte die an der Georgetown Uniersity lehrende Emma Ashford den Blick auf die macht- und geopolitische Rivalität hinter dem Ukrainekrieg („The Persistence of Great Power Politics“ in: Foreign Affairs vom 20.02.2023, https://www.foreignaffairs.com/ukraine/persistence-great-power-politics?utm_medium=newsletters&utm_source=fatoday&utm_campaign=The%20Persistence%20of%20Great-Power%20Politics&utm_content=20230220&utm_term=FA%20Today%20-%20112017 )

[…] Einwände gegen die vorherrschende Deutung des Ukraine-Kriegs sind nicht statthaft. Aus dem Blick geraten dabei indes die unterschiedlichen Interessen, letzlich Machtinteressen aller im Ukraine-Konflikt involvierten Staaten und Regierungen. Ausgeblendet wird zudem die lange Vorgeschichte des Krieges, die weiter zurückreicht als zu dem Machtwechsel in Kiew im Kontext der blutig eskalierten Maidan-Ereignisse 2013/14.

[…] Zu den tieferen Ursachen des Ukraine-Krieges, die im frühen 21. Jahrhundert – etwa seit auf den Machtantritt Putins in Moskau anno 2000 – mit den mittelbaren Konfliktmomenten zusammenfallen, gehört indes das Mächtespiel auf dem europäischen Kontinent. Wie ehedem zweimal zuvor - im politisch-militärischen Machtkalkül der deutschen Führung im Kriegsjahr 1918, sodann Hitler-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg – wurde die Ukraine zum Operationsraum der Großmächte.

In der moralisch aufgeladenen Sicht der Dinge erscheint es unstatthaft, angesichts der Kriegsszenen im Donbass sowie der Drohnenangriffe auf ukrainische Städte an diesen Teil der Vorgeschichte zu erinnern. Gleichwohl: Die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als „einzige Weltmacht“ (Zbigniew Brzezinski) verstehende USA forderte – de facto, intentional aus der Sicht Moskaus – mit der vor allem von den baltischen Staaten und Polen erwünschten Ostausdehnung der NATO 1995ff. das geschwächte, sich als Großmacht gedemütigt fühlende Russland heraus. Die Herausforderung geschah auf geopolitischem, militärischem und – im Zeichen demokratischer Freiheitsrechte gegen autoritäre Strukturen und Traditionen – ideologischem Gebiet.

Als point of no return für den neu aufbrechenden Ost-West-Konflikt erscheint Putins Absage an den Westen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007. Es folgte im August 2008 der kurze Krieg gegen Georgien, das sich unter dem damaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili zu einem Angriff auf – unzweifelhaft provokativ vorgerückte - russische Positionen in Südossetien hatte verleiten lassen. Von dem – im Westen als erfolgreiche „orangene Revolution“ gefeierten - Regimewechsel in Kiew im Februar 2014 (siehe „Chronologie der Maidan-Revolution“, https://www.nzz.ch/international/ukraine-chronologie-der-maidan-revolution-ld.1290571) führt der Weg über die russische Besetzung der strategisch bedeutsamen Krim Ende Februar 2014 und die nur wenig später in der Ostukraine einsetzenden Kämpfe russischer Separatisten gegen die Kiewer Zentralregierung in den von Putin am 24. Februar 2022 eröffneten Krieg.

Ein Ende ist nicht abzusehen

Wir begeben uns auf das Terrain der Spekulation, wenn wir nach dem auslösenden Faktor (trigger) für Putins Entscheidung zum großen Krieg fragen. Am 22. Februar 2022 kündigte Putin das sieben Jahre zuvor (12.02.2015) zur Beilegung des butigen Konfikts im Donbass ausgehandelten Minsk II-Abkommens auf. Er rechtfertigte dies mit der Obstruktion des Abkommens seitens der – in der Tat an der Verwirklichung der Vereinbarungen wenig interessierten - Kiewer Regierung. Ausschlaggebend für den – von Putin als vermeintlich unmittelbar durchschlagende „militärische Spezialoperation“ geplanten – Großangriff dürfte die Wahrnehmung der mutmaßlich auf Rückeroberung der russisch besetzen Gebiete mitsamt der Krim zielenden Ausbildung und Aufrüstung ukrainischer Truppen durch Briten und Amerikaner gewesen sein. [...] 

Schlussfolgerung

Damit kehren wir zu den eingangs erwähnten Varianten eines Kriegsausgangs zurück. Am Ende könnte es auf einen – für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer unbefriedigenden - Deal hinauslaufen, bei dem Putin einen Teil seiner Eroberungen – maßgeblich die Krim - behält und die Ukraine auf einen Beitritt zur NATO verzichten muss. Unabhängig von einem derartigen Szenario haben sich im Gefolge des Krieges – zuletzt durch die in Brüssel groß inszenierte Verkündung eines EU-Kandidatenstatus für die Ukraine – die Machtgewichte in Europa verschoben: Während die Position der östlichen EU-Staaten gestärkt ist, hat die Bundesrepublik Deutschland nach Durchtrennung ihrer Sonderbeziehungen zu Russland und lange unklarer Parteinahme ihre halbhegemoniale Rolle in Europa eingebüßt.

III.

Auf meine Ausführungen haben zwei Freunde mit nicht unberechtiger Kritik geantwortet. Beide beziehen sich auf die in meiner Argumentation enthaltenen Mutmaßungen. Soweit damit die eingangs - und am Ende - als mögliche Varianten eines Kriegsausgangs gemeint sind, habe ich meine diesbezüglichen Überlegungen selbst als "auf dem Terrain der Spekulation" angesiedelt. Anders steht es mit meiner "Mutmaßung" bezüglich des für das Eklatieren des bereits seit dem Regimewechsel in Kiew nach den Ereignissen auf dem Maidan 2013/2014 mit Gewalt - Kämpfe im Donbass und Besetzung der Krim - ausgetragenen Konflikts. 

Für meine These, wesentlich ausschlaggebend für Putins - vor Kiew wider Erwarten gescheiterte - "militärische Spezialoperation" sei die von ukrainischer Seite geplante Rückeroberung der Gebiete im Donbass sowie der Krim gewesen,gibt es enen Beleg in Ukas No 117/2021 der Kiewer Regierung vom 24. März 2021. Darin geht es um "1. Die Politik der Beendigung des Besatzungsregimes und Wiedereingliederung der vorübergehendbesetzten Territorien der Autonomen Republik Krim und der StadtSewastopol (im Folgenden als vorübergehend besetzte Territorien bezeichnet)besteht aus einemganzen elementenkomplex zur Durchführung einer Reihe von Maßnahmen, diplomatischer, miltärischer, wirtschaftlicher, informationeller, humanitärer und anderer Art." (https://www.president.gov.ua/documents/1172021-37533?_x_tr_sl=uk&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp)

Zu erinnern ist auch daran, dass die ukrainische Regierung unter dem damaligen pro-westlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko bereits 2008 eine Verlängerung des bis 2017 geschlossenen Pachtvertrags kategorisch abgelehnt hatte.(https://www.derstandard.at/story/1224776229310/verlaengerung-des-pachtvertrages-fuer-russische-schwarzmeerflotte-abgelehnt). Umgekehrt vereinbarte anno 2010 der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch  2010 mit Moskau, dass der 2017 zu erneuernde Pachtvertrag für die Stationierung der russischen Flotte um 25 Jahre verlängert werden sollte.  (https://www.handelsblatt.com/politik/international/die-krim-zankapfel-zwischen-moskau-und-kiew/9558502.html).

Kurz vor der russischen Besetzung der Krim Ende Februar 2021 setzte das Parlament in Kiew ein Gesetz außer Kraft, welches das Russische dem Ukrainischen auf der Krim als Amtssprache gleichgestellt hatte. Laut Süddeutscher Zeitung vom 28. Februar hielt "sogar die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) dies für eine ziemlich schlechte Idee... Es könnte der Funke sein, den es braucht für eine Explosion." (https://www.sueddeutsche.de/politik/ukrainische-halbinsel-krim-russlands-faustpfand-am-schwarzen-meer-1.1900555)

Fazit: In der von Schreckensbildern und berechtigter Empörung über Putin geprägten Debatte sind sowohl die komplexen, vorrangig machtpolitischen Hintergründe sowie die von mir als "Trigger" bezeichneten Details außer Blick geraten. Während Nato-Generalsekretär Gerhard  Stoltenberg und andere Akteure von einem noch Jahre andauernden Krieg sprechen, können wir nicht mehr tun, als auf ein möglichst baldiges Ende dieses Krieges zu hoffen.




 

 


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