Montag, 28. Februar 2022

Vermächtnis eines englischen konservativen Denkers

Für die mutmaßlich überschaubare Anzahl von Lesern (sc. -innen), die sich unmittelbar für meinen Blog interessieren, ohne als erstes auf Globkult zuzugreifen, stelle ich hier noch einmal den Link zu meiner Besprechung des (vor-)letzten, erst 2021 nach dem Tod des Autors auf Deutsch erschienenen Buches von Roger Scruton vor. Obgleich auch ich mit zunehmendem Alter "konservativer" geworden bin, betrachte ich mich keineswegs als Konservativen. Zu bewahren gilt es stets die Freiheit des Denkens gegenüber ideologischen Zumutungen sowie den politischen Anspruch auf Teilhabe ("Partizipation") in der res publica gegenüber etablierter Macht und Herrschaft. Die Chancen, die Grenzen und die Begrenzung dieser Teilhabe in der Massendemokratie sind der Kritik zu unterziehen (zu "hinterfragen").

Mit den neuesten "linken" Strömungen, welche der Tradition der Aufklärung im Zeichen der kritischen Vernunft entgegenwirken, die Aufklärung de facto ruinieren - gemeint ist die "dekonstruktivistische" Modelinke sowie die  identitäre "woke"-Ideologie samt genderistischen Derivaten -, habe ich indes nichts im Sinn. 

Schade, dass Scruton unter den Protagonisten der "French Theory" nicht auch Jacques Derrida sowie die Gender-Päpstin Judith Butler und deren akademisches Gefolge ins Visier genommen hat.

Eine Passage, in der Scruton als christlicher Platoniker und aktives Mitglied der anglikanischen Hochkirche Sympathien für die -  den Tod in der Shinto-Religion sublim integrierende - Kultur Japans unter dem sich nach außen abschließenden Tokugawa-Shogunat (= Edo-Zeit 1603-1868) äußert, bedarf noch einer kritischen Nachfrage. Die Abschließung sicherte dem geeinten Inselreich zwar Ruhe und Sicherheit, bedeutete aber auch historische Stagnation. Von dem christlichen Konservativen Scruton hätte man Sympathien für die nach der "erfolgreichen" Missionierung durch die Jesuiten blutig unterdrückten christliche Minderheit erwartet. 

Des weiteren geht es um die auch von Konservativen nicht abzuleugnende Dialektik des Geschichtsprozesses. Im Falle Japans führte die 1863 von Commodore Perry erzwungen "Öffnung" Japans innerhalb einer Generation zum Aufstieg als moderne Industrie- und Militärmacht, zu imperialem Ausgreifen und zum Konflikt mit den Mächten Europas sowie ab 1931/1937 mit den USA.

Schade, dass Sir Roger - etwa im Anschluss an Alexis de Tocqueville -  über die dem Geschichtsprozess, insbesondere in der ökonomisch-technischen Moderne, inhärente, mit Hegels Vernunftbegriff nicht zu fassende Macht unaufhaltsamer Veränderung nicht noch umfassender reflektiert hat.

Dessen ungeachtet bleibe ich bei meiner Leseempfehlung: https://www.globkult.de/gesellschaft/besprechungen-gesellschaft/2168-roger-scruton-narren-schwindler-und-unruhestifter-linke-denker-des-20-jahrhunderts

auch unter: https://www.achgut.com/artikel/die_dekonstruktion_der_linken_meisterdenker

 


Dienstag, 22. Februar 2022

Von der Hauptstadtkultur im Zeichen des Mülls

Demos und Aktivismus für gute Zwecke - für die Klimarettung und/oder für offene Grenzen, gegen Coronaleugner, allgemein gegen Nazis - gehören zur politischen Kultur der Hauptstadt. Als vor knapp zwei Wochen Menschen (= Aktivist:Inn*en, w/m/d) die Stadtautobahn blockierten, um das Klima vor den Autofahrenden zu retten, fanden sie verständnisvolle Berichterstattung auf RBB. Denn Verkehrsstaus auf dem Stadtring sowie auf anderen, schlaglochreichen Verkehrsadern gehören seit je zum Berliner Stadtbild. Nur die BZ (Springer, nicht Holtzbrinck) entrüstete sich darüber, dass eine von Wehen geplagte Schwangere auf der Fahrt in die Klinik in die Blockade geriet. Zum Glück für die Berliner Autofahrenden ist die Klima-Kampftruppe in diesen Tagen, da wegen Putin Nord Stream 2  klimarettend gestoppt wird, nach Hamburg verlegt worden, um dort ihre Hintern  CO2-frei  auf die Straße zu kleben.

Zur Phänomenologie der Hauptstadt - mit einer grünen Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz – gehören Street Art, der Dreck und die aus Sprühdosen stammenden Graffiti. Gegen die Farbprodukte deutscher Chemie ist kein handwerklich noch so sorgfältig aus rotem oder ockergelbem Klinker errichtetes Mauerwerk geschützt, kein unlängst sanierter S-Bahn-Bogen, keine frisch gestrichene Wand eines genossenschaftlichen Wohnblocks. Übernimmt die Versicherung die Kosten fürs Überstreichen des Sprühwerks? Wenn ja, steigt die Prämie. Und klar, wenn die Mieten steigen, sind die Miethaie schuld. Das alles wird sich erst ändern, wenn wir die „Deutsches Wohnen“ endlich enteignet haben...

Kein Briefkasten, kein Stromverteiler, keine Bushaltestelle, die nicht nächtens die schöpferischen Impulse der Kids im Kiez weckt. In den Augen reaktionärer Bürger und -innen mag es sich bei den als Graffiti deklarierten Sprühwerken um das handeln, was sie sind: sinnlose Schmierereien. Aber müsste der Dreck an der Bushaltestelle samt angrenzender Grünanlage - Pappbecher, Verpackungen von Schoko-Riegeln, Plastiktüten, Taschentücher, die von widrigen Winterwinden hingewehten Corona-Masken, ab und zu eine Red Bull-Flasche -  nicht auch den grün-linken Vorkämpfenden des umweltschonenden Nahverkehrs missfallen?  Nein, auch diese Produkte gehören zur hiesigen Street Art! Fragen zur Ästhetik kommen allenfalls aus dem Munde einer für die demokratische Kultur der Stadt irrelevanten Minderheit, womöglich aus der AfD-Ecke! Deren kleinbürgerlicher Geschmack beschränkt sich bekanntermaßen auf die Barockfassade des mit Bundestagsmehrheit wiedererrichteten Humboldt-Forums, der bildungsfernen Bevölkerung bekannt unter der Fehlbezeichnung "Schloss". Solchen Leuten – alte weiße Männer, in Grunewald-Villen sozialisierte Damen mittleren Alters sowie Berlin-Touristen im Rentenalter – missfällt mutmaßlich auch der demokratische Appell auf den frisch gestrichenen Elektrokästen: Fuck Nazis!

Gehöre auch  ich zu der von Sauberkeitswahn besessenen reaktionären Minderheit? Noch befangen in derlei Selbsterforschung stieß ich unlängst auf die Beilage „Vier Seiten Kunst, Politik und Stadtgefühl“ in  „Der Tagesspiegel" (05.02.2022). Da schreibt der Redakteur Werner van Bebber - unter der Überschrift „Stoppt die öffentliche Verwahrlosung!“ -  folgendes: „Berliner Straßen belegen die These der ´Broken-Windows-Theorie´: Wo Müll ist, wird mehr Müll. Mit der Umsetzung der Theorie hat ein ruppiger New Yorker Polizeichef seine Stadt wieder proper gemacht.“ (Anm: Der Text lässt den Namen Rudi Giuliani, Intimus von Donald Trump, unerwähnt.) Aber: „In Berlin schuf der Senat 2004 die Ordnungsämter, damit Ordnung werde. Viel hat sich nicht geändert“, außer „der Umgang mit der Hundescheisse...“

Hauptstädte sind außerhalb der Hauptstadt selten beliebt – zu Recht. Indes handelt es sich bei der demokratischen Toleranz von Müll - wie auf jeder Reise in deutsche Großstädte zu erfahren - keineswegs um eine Berliner Besonderheit. Das Frankfurter Bahnhofsviertel kann es locker mit dem Cotti, dem Helmholtzplatz oder der Warschauer Brücke aufnehmen. Eine nichtdeutsche Verwandte (ohne Doppelpass) bemerkte, dass Nürnberg „immer schmutziger“ werde, und dies ausgerechnet angesichts der UNO-Menschenrechtssäulen. Die Hansestadt Bremen übertrifft in puncto Dreck die Hauptstadt. 

Dass es anderswo nicht anders, nicht besser ist, wollen die Berliner nicht gelten lassen. Sie lieben ihren Kiez, mitsamt dem Müll. Politisch bereinigt werden in der Hauptstadt nur die Straßennamen.