Mittwoch, 8. September 2021

Vor dem 26. September: Grünes Ratespiel der BpB

Der nachfolgende Kommentar zum grünen Politspiel der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) Wahl-O-Mat ist in kürzerer Version bereits auf der „Achse des Guten“ erschienen: https://www.achgut.com/artikel/wahlomat_gruen_gefaerbtes_ratespiel/P30#comment_entries

Ich bitte die Fans von AchGut, die Globkult-Leser (sc. -innen) sowie meine Blog-Anhänger (sc.-innen) um Nachsicht, dass mir auf der "Achse" bei der Fangfrage nach einem Austritt aus der EU - propagiert von der AfD und womöglich auch von der MLPD, von BüSo und von den Tierschützern - ein stilistischer faux pas unterlaufen ist: Alarmglocken leuchten natürlich nicht auf, sondern läuten, schrillen oder dröhnen. Das missglückte Sprachbild passt indes zum Wahl-O-Mat: Auch der ist schief.

Der/die/das mündige Bürger vor der Wahl

In Wahlen entscheidet das Volk, der Souverän, über seine politische Zukunft. Sodann nehmen ihm die Parteien im Koalitionsgerangel die Entscheidung wieder ab. Sie wirken – gemäß GG 21 (1) - bei der politischen Willensbildung nicht etwa nur mit, sondern fixieren seit anno ??? ihre parteispezifische Definition des Willens in einem Koalitionsvertrag. Da zugleich der/die Bundeskanzler/in die Richtlinien der Politik bestimmt, hängt bei der Willensausübung nicht wenig von der Person des Mannes oder der Frau an der Spitze ab. Für den Souverän, den mündigen Bürger, macht das die Wahlentscheidung etwas einfacher. Es kommt auf die Physiognomie an.

Scholz oder Laschet? In der letzten Phase vor dem 26. September gewinnt der von wochenlanger Langeweile bestimmte Wahlkampf noch an Spannung. Mit Olaf Scholz als freundlichem Kanzlerkandidaten zielt die SPD jetzt auf die Regierungsübernahme, in welcher Koalition auch immer. Die von den Umfragen in Depression gestürzte CDU/CSU spielt Kassandra und warnt vor einem fatalen Linksrutsch – als ob in der unendlichen Ära Merkel das gesamte System der Bundesrepublik nicht längst nach „links“ gerutscht wäre. Zur Erläuterung: Auf der staatstragenden Politachse Rechts-Links entzieht sich „links“ (wie auch „rechts“) einer klaren Definition. Inzwischen ist „links“ irgendwie identisch mit „grün“ und umgekehrt. Und „grün“ sind heute irgendwie alle, allen voran die CSU unter dem wendigen Markus Söder.

Baerbock is out. Die Grünen haben sich dank Baerbocks geschöntem Lebenslauf von ihrer schönen Hoffnung, mit Annalena ins Kanzleramt einzuziehen, verabschieden müssen. Wenn sie jetzt – mit nahezu absoluter Erfolgsgarantie – „nur noch“ auf Regierungsbeteiligung zielen, so brächte dies auf der Berliner Bühne zwar Veränderungen in der Rollenbesetzung, nicht aber im Spielplan. Denn seit langem, erst recht unter Merkels endloser Intendantur, werden in Deutschland nur noch grüne Stücke gespielt. Die Themen wechseln zwischen Apokalpyse und frischer Zukunft, Klimakatastrophe und Weltrettung, Windrädern, Fachkräften und Ortskräften, Tempolimit und Tesla, Freiheit und buntem Familienglück.

Wahl-O-Mat

Der mündige Bürger (m/w/d), der/die/das angesichts der Weltlage, der Energie-, Klima- und Corona- und Geschlechter-, Geflüchteten- und sonstigen Krisen, gewisse Zweifel an der umfassenden Weisheit der grün eingefärbten politischen Klasse hegt, überlegt, welche der Farbabstufungen – mit roten „Linke“-Einsprengseln („Mieten runter, Renten rauf!“) – er am 26. September wählen soll.

Als Orientierungshilfe empfiehlt ihm/ihr/ihm die BpB ihren Wahl-O-Mat. Laut Selbstbeschreibung ist der Wahl-O-Mat „keine Wahlempfehlung, sondern ein Informationsangebot über Wahlen und Politik“. Die Informationen bestehen aus 38 Fragen bzw. Aussagen („statements“), die mit „stimme“ zu“, „neutral“ oder „stimme nicht zu“ zu beantworten sind. Der /die/das Befragte kann die Fragen aber auch überspringen. Ganz entgegen der Absicht der politischen Bildungsexperten ist dies immer dann angezeigt, wenn die Fragestellung unklar, schief oder geistig zu schlicht erscheint. Das trifft etwa auf die Hälfte des demokratischen Test- und Tugendkatalogs zu.

Ob man für die Beibehaltung einer Fallpauschale für stationäre Krankenhausbehandlung eintritt oder nicht? Als Covid-Patient kenne ich mich zwar auf der isolierten Krankenstation aus, nicht aber bei der Kostenabrechnung, die ich per Versicherungskarte bereits bei der Aufnahme für erledigt hielt. Ähnlich steht es mit der Frage nach einer „Umsatzsteuer auch auf digitale Dienstleistungen“. Was und wie, fragt sich der von seiner Steuererklärung geplagte Laie, unterscheiden sich digitale Dienstleistungen von analogen oder handwerklichen Dienstleistungen? Wäre ich FDP-Stammwähler, wäre ich selbstverständlich gegen jede Art von Steuererhöhung.

Dass Steuern auch mit „staatliche Preise“ umschrieben werden kann, erscheint als politbegriffliches Novum:„Der staatlich festgelegte Preis für den Ausstoß von CO2 beim Heizen und Autofahren soll stärker steigen als geplant.“ „Ökologische Landwirtschaft soll stärker staatlich gefördert werden als konventionelle Landwirtschaft.“ Nicht nur eine Gewissensfrage für libertär gesinnte FDP-Wähler, sondern für Produzenten und Konsumenten: Was ist gemäß Brüsseler Bürokratie echt öko?

Nicht nur ins Herz der „Linke“- und SPD-Wähler zielt die Frage, ob „auf hohe Einkommen wieder“ eine Vermögensteuer gelegt werden soll. Was ist hoch? Eine Frage der Perspektive. Gegen die Manager-Boni in der Finanzindustrie, wo es weniger um Industrie als um Milliardenspiele geht, verspüre ich tiefsitzende, kleinbürgerliche, Ressentiments, auch wenn ich die betreffenden Profiteure nicht – nicht einmal nur so als Spaß gemeint - gleich erschießen möchte wie eine „Linke“-Spitzenfrau.

Bei der Frage nach einem „Austritt aus der EU“ leuchtet das Alarmsignal auf. Bloß nicht in die Fänge der AfD geraten! Darf ich fortan auch keine Abneigung gegen die Brüsseler Bürokratie mehr hochkommen lassen? Die Wahl-O-Maten-Konstrukteure vermeiden die Frage, wie es mit der EU weitergehen soll? Immerhin propagieren die Grünen offen den europäichen Bundesstaat.

Dass Antisemitismus mit mehr Geld zu bekämpfen sei, verdient ein „stimme zu“. Die Frage bleibt: Wie, und wohin geht das Geld? Etwa auch an Islamverbände, die künftig „staatlich anzuerkennen“ sind oder auch nicht, oder lieber „neutral“? Die Verbände, selbst der allenthalben hofierte minoritäre ZMD, passen nicht so ganz in unser spezifisch deutsches Rechtsverhältnis von Kirche und Staat. „Generelles Kopftuchverbot für Beamtinnen?“ Ja, nein, neutral, Hidschab oder Niqab? Weiterhin Kirchensteuer, implizite demnächst auch für die erwähnten Islamverbände? Wäre ich FDP-Stammwähler (s.o.) wüsste ich eine klare Antwort: Nein! Allerdings zahle ich seit Jahren geduldig meine Kirchensteuer an die Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, mithin auch an die EKD, den gesamtgrünen Wahlverein.

Vom grünen Familiensinn der EKD, personifiziert durch Kathrin Göring-Eckardt, inspiriert ist die – als „loaded question“ auf tumbe AfD-Wähler zielende - Frage: „Das Recht anerkannter politischer Flüchtlinge auf Familiennachzug soll abgeschafft werden.“ Nicht minder suggestiv lautet „statement“ 35: „Asyl soll weiterhin nur politisch Verfolgten gewährt werden.“ Soll heißen: Die wegen Armut, Krieg, Klima oder Queerness in die deutsche Willkommenskultur Flüchtenden/Geflüchteten dürfen von den hartherzigen Deutschen nicht ausgesperrt werden. Sodann soll noch der Flugverkehr höher besteuert werden oder auch nicht, schließlich die Unternehmen über Home office selbst entscheiden oder auch nicht.

Politische Schonkost

Man muss nicht bis zum Ende der demokratisch-didaktischen Selbstbefragung durchhalten, um zu wissen, dass der digitale Wahl-O-Mat nach einem grünen Programm abläuft. Den politischen Bildungsexperten der Bundeszentrale ist daraus kein Vorwurf zu machen. Was sie eingespeist haben, ist die gesamtgrüne Ideologie der Bundesrepublik im Wahljahr 2021.

Mit den drängenden, komplexen Zukunftsfragen will der Wahl-O-Mat, so wenig wie die wahlkämpfenden Parteien, die Wähler lieber nicht belasten. Als da sind: Erhalt der Wirtschaftskraft, sinkendes Bildungsniveau, Bevölkerungsentwicklung, Rentensystem, Einwanderung („Zuwanderung“), politischer Islam und Integration, Zinspolitik der EZB und Inflation, europäische (!?) Außenpolitik.

Naturgemäß beschränkt sich das Propagandamenü der Parteien im Wahlkampf auf geistige Schonkost. Nicht anders der Wahl-O-Mat, der ein grünes Ratespiel offeriert. Ach ja, da ist noch Frage 15, ob die Bundesbehörden in Zukunft in ihren Texten gendern sollen? Diese Frage wird nach dem 26. September den „Wählenden“ abgenommen. Sie ist in den Koalitionsverhandlungen zu klären.

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