Dienstag, 24. November 2020

Direkte Mediendemokratie weist den Weg: Exitus

Freund Hein, auch bekannt als Sensenmann oder Gevatter Tod, ist eine Figur, der man in unserer bunten, munteren Gesellschaft, am besten nicht begegnen möchte. Indes drängt sich der Kerl nicht nur in Corona-Zeiten immer wieder ins Bewusstsein. In den endlosen Krimiserien und Horrorfilmen auf TV oder Tablet sorgt der Tod bei den Konsumenten für Spannung und Gruseln, im wirklichen Leben treffen unheilbare Krankheit, langes grauenvolles Leiden, Alzheimer und anderes jeweils den anderen, bis man eben selbst dran ist - oder auch nicht, wenn man etwa - wie erhofft - sanft im  Lehnstuhl entschläft. Letzteres ist leider eher selten und stellt - gesamtgesellschaftlich, auch theologisch betrachtet - eine Gerechtigkeitslücke dar, die bislang noch in keinem Parteiprogramm Beachtung gefunden hat. 

In der dem Volk als Unterhaltung verkauften, meist mit Moral angereicherten Langeweile gibt es Ausnahmen, selbst in den Talkshows, in der sich Moderator oder -in, Politiker/innen und Promis gewöhnlich über Trump, die AfD, Klimaleugner und Reichsbürger entrüsten. Eine solche Ausnahme war die gestrige Talkshow "Hart, aber fair" mit Frank Plasberg zum Thema "Sterbehilfe", das im Februar d.J.  durch ein - nur "kommerzielle" Praktiken ausschließendes -  Urteil des Bundesverfassungsgerichts erhöhte Aktualität erlangte. Die vier Gäste - ein Krankenpfleger, der seiner gelähmten Mutter auf deren seit langem feststehenden Entschluss hin die entsprechenden Chemikalien beschafft hatte, die Vorsitzende des Marburger Bundes Susanne Johna, die Medizinethikerin Schöne-Seifert sowie der neue Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz Georg Bätzing - trugen in klaren Worten ihre unterschiedliche Position zu dem Thema vor. Der Diskussion vorhergegangen war eine Art "Kammerspiel" (Bätzing) nach dem Drehbuch von Ferdinand von Schirach mit dem Titel "GOTT". In eindrucksvoller Besetzung wurde eine Sitzung des Ethikrates aufgeführt, in der es um das Verlangen eines alten, aber gesunden Mannes ging, seiner geliebten Frau in den Tod folgen zu dürfen. 

Das Thema ist bitter und bedrückend. Bezüglich der im Grundgesetz verankerten Grundwerte Menschenwürde und freie Selbstbestimmung tun sich Fragen auf, die in früheren Debatten mit Hinweis auf die "Euthanasie"-Praxis der NS-Medizin abgewehrt werden konnten. Die gesellschaftliche Realität und die juristische Neudefinition des Freiheitsbegriffs haben die "assistierte Sterbehilfe" aus dem Schatten menschlichen Daseins ins Licht gerückt. Mit der neuen Rechtmäßigkeit der - in der Schweiz, Belgien, Holland, Oregon und anderswo - geübten Praxis gesellen sich für die Alten zum Lebensende  den alten Wahrnehmungen, Empfindungen und Schmerzen neue psychische Faktoren wie Unsicherheit, Misstrauen, realer oder imaginärer Druck hinzu.

Von Vorbildern wie Sokrates oder Seneca abgesehen, geschieht ein Freitod selten aus freien Stücken. Eine schlichte Antwort pro oder contra ist dem Thema unangemessen. Nichtsdestoweniger wurden bei Plasberg die Zuschauer wie üblich aufgefordert, ihre Meinung - heute weithin identisch mit "Haltung" - zum Recht auf assistierten Exitus kundzutun. Dass die Abstimmung mit mehr als 70 Prozent Zustimmung ziemlich hoch ausfiel, schien Moderator und Gäste zu überraschen.  

In den Augen des - gewöhnlich TV- und Talkshow-abstinenten - Bloggers geriet die Sendung durch derlei direkte Mediendemokratie an den Rand eines peinlichen Spektakels. Wer beteiligt sich per Maus-Klick an solchen Abstimmungen, wer hält sich mit seinem Urteil zurück, wer ist - wenn auch anonym bleibend - frei von Zweifeln gewiss genug, den besten Weg ins Jenseits der Welt zu empfehlen? Die Zuschauerquote lag an jenem Montagabend vermutlich in Millionenhöhe. Wie hoch war die Zahl derer, die sich der Mediendemokratie denn doch lieber enthielten? 

 

 


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