Die Neujahrsansprache unserer Kanzlerin, dieser Tage von Martin Walser in seinen wechselvollen politischen Himmel erhoben, war bereits am Vorabend des neuen Jahre 2017 zu lesen. (Eine demokratische Andacht vor der Glotze kam ohnehin nicht in Betracht, und dies nicht etwa wegen eines nicht ausgeschlafenen ethnodeutschen Silvester-Katers.) Aus der Rede an "uns" seien zwei "uns" nachhaltig beeindruckende Passagen zitiert, die Merkels Redenschreiber (sc. ihrer R-in) in den Sinn gekommen sind: 1) " Wir sind frei, mitmenschlich, offen. - Auch indem wir zum
Beispiel mit den Bildern des zerbombten Aleppo in Syrien vor Augen noch
einmal sagen dürfen, wie wichtig und richtig es war, dass unser Land
auch im zurückliegenden Jahr denjenigen, die tatsächlich unseren Schutz
brauchen, geholfen hat, hier bei uns Tritt zu fassen und sich zu
integrieren." 2) "Zusammenhalt, Offenheit, unsere
Demokratie und eine starke Wirtschaft, die dem Wohl aller dient: Das ist
es, was mich für unsere Zukunft hier in Deutschland auch am Ende eines
schweren Jahres zuversichtlich sein lässt. - Keiner dieser Werte
ist uns einfach so gegeben. Für jeden werden wir auch 2017 arbeiten
müssen, alle gemeinsam, jeder nach seinen Möglichkeiten – und diese
Arbeit wird sich lohnen."
Merkels Neujahrsrede eignet sich als Basistext zur Sprachanalyse Grundstufe I für Erstsemester: "Einführung in die lingua cancellariae Rei
Publicae Foederalis". Die Kanzlerin appelliert neuerdings in "ihrem" Land an das Wir-Gefühl der "schon länger hier Lebenden". Zur Mobilisierung dieses Wir-Gefühls dienen so treffliche Satzelemente wie "zum Beispiel; noch einmal; wichtig und richtig; tatsächlich; Tritt
fassen (!); integrieren". "Wir" dürfen im Wahl- und Migrationsjahr 2017 auch die "Zuversicht" unserer Kanzlerin teilen, denn "wir" teilen ihre Werte: "Zusammenhalt, Offenheit, unsere Demokratie; unsere Zukunft hier in Deutschland", "unsere starke Wirtschaft". Gewiß doch, all dies sind unsere "Werte", für uns "alle gemeinsam". Wird sich schon lohnen, diese Arbeit...
Zumindest die "Linke" wird die Merkel-Rede mit Genugtuung vernommen haben. Sie wird sich im Blick auf die Wahlen - und in scharfer Konkurrenz zur AfD - die Lohnlücken zwischen Mindestlöhnern und Bonus-Rezipienten nicht entgehen lassen. Wenn bloß nicht noch ein anderer 14fach registrierter, wegen fehlender Integrationsbereitschaft der Biodeutschen in die Kriminalität abgeglittener Asylbewerber einen Lkw kapert, um "hier in Deutschland" mehr Offenheit und Mitmenschlichkeit einzufordern...
II.
Die angekündigte Aufführung der dritten Kantate aus dem Weihnachtsoratorium ermutigte zum Besuch eines Abendgottesdienstes zum Neujahrstag in der großräumigen neugotischen Kirche aus besseren preußisch-protestantischen Tagen. Die Musik, Jubel und Besinnung in einem, mochte mit dem Rest - ein veritabler Gottesdienst - versöhnen. Predigttext Johannes 14, 6: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich." In derlei Texten existiert der Vater noch, auch in den Segenssprüchen, in denen der "Herr" unvermeidlich integriert stehen geblieben ist. Sonst wird nur noch geschlechtsneutral ein seiner Patriarchalität entkleideter "Gott" (immerhin noch mask.) apostrophiert.
Die Pfarrerin exegetisiert den Vers fürs Publikum mit großer Geste und in freier Assoziationsfolge. Dann offenbart sie ihr zentrales Anliegen: Empathie, nein Nächstenliebe, für Abdullah aus Afghanistan, genauer aus Kundus. Sie begegnete Abdullah unlängst bei einem weihnachtlichen Willkommensabend. Abdullah erzählte von seiner dementen Mutter, die er lange, vielleicht bis zu ihrem Tod, liebevoll gepflegt habe. Danach habe er sich auf die Flucht begeben, monatelang, bis er über die Ägäis auf die rettende griechische Insel und von dort nach Deutschland gelangt sei. Abdullahs Fluchtgrund war einleuchtend: Er wollte dem Wehrdienst in seinem Land, wo Deutschlands Freiheit (Verteidigungsminister Peter Struck (SPD,† 2012), allgemein westliche Werte, gegen die Taliban verteidigt werden, entgehen. Aus afghanischer Sicht verständlich, denn wer möchte sich schon mit den Taliban anlegen? - Den Krieg gegen die Taliban bestreitet bis auf weiteres, im Bündnis mit den Verbündeten, die Bundeswehr, stationiert in Kundus. Es sind dabei auch bereits einige gestorben, neuerdings wieder: "gefallen". Das Problem unserer Demokratie liegt in der Jury-Besetzung und in der Ausschreibung für ein "richtiges" Denkmal.
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