Donnerstag, 29. Dezember 2016

Zu den Friedensaussichten in Nahost

I.
Der Besuch des Weihnachtsgottesdienstes - mit Krippenspiel - erbrachte keine neuen Erkenntnisse bezüglich der Zukunft unserer "globalisierten" Welt und unserer offenen Gesellschaft.  Die Kirche war so voll wie schon seit Jahren nur einmal im Jahr, einem Teil der Besucher, "die schon länger hier leben" (Angelus Angela Uckermarcensis), waren trotz Textvorlage selbst die schönsten und bekanntesten Weihnachtslieder in Text und Melodie unbekannt. Merkels Weihnachtsbotschaft mit der Empfehlung, wieder mehr Weihnachtslieder zu singen, um die von ihr und ihrer Allparteienkoalition ausgelösten "Flüchtlingskrise" zu bewältigen, war offenbar trotz medialer Unterstützung nicht richtig angekommen.

Immerhin: Die Pfarrerin verknüpfte einleitend die Hoffnung auf Weihnachtsfreude/-frieden mit dem weniger erfreulichen Adentsereignis auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. In ihrer Predigt verzichtete sie sogar auf die sonst übliche Programmrede zum Thema "Kein Raum in der Herberge", womöglich beeinflußt von der Facebook-Notiz eines emeritierten Brandenburger Kollegen, der das epochale Ereignis zu Bethlehem historisch-kritisch in Perspektive gerückt hatte: Bei dem  (nach Lukas, 2, 5, abweichend von Matth. 1, 19)  "vertrauten [Anm: archaisch =stabil verpartnert] Paar" handelte es sich  nicht um "Flüchtlinge" (German New Speak: refugees, auch "Geflüchtete"); Joseph und Maria befanden sich auf dem Weg aus Nazareth zu ihrem Finanzamt in Bethlehem. Unklar, ob die Pfarrerin diese historisch-faktische Korrektur der vorherrschenden Exegese berücksichtigte. Sie  begnügte sich mit der Ermahnung an die singulär anwesende Großgemeinde, sie möge inmitten der Weihnachtsfreude auch für die, "die bei uns Schutz suchen",  ein offenes Herz zu zeigen.

II.
Dass in Aleppo schon vor den Weihnachtstagen Festesfreude herrschte, dass Männer, Frauen (ohne demokratisch-interkulturell anregende Accessoires wie Kopftuch oder Niqab) auf den Straßen tanzten, daß am Weihnachtstag zum ersten Mal seit Jahren orthodoxe Christen in der beschädigten St. Elias-Kathedrale einen Gottesdienst feiern konnten, war den für kritische Berichterstattung und Meinungsbildung zuständigen Medien offenbar keine freudebringende Spitzenmeldung wert. Stattdessen wurde diese frohe Botschaft vornehmlich über die - allen Demokratinnen und Demokraten wegen ihrer vielen fakes suspekten - "social media" verbreitet. Hervorzuheben ist gleichwohl ein Kommentar,  den Götz Aly am zweiten Weihnachtstag  in der "Berliner Zeitung" online über "Weihnachten in Aleppo" veröffentlichte. (http://www.berliner-zeitung.de/politik/meinung/goetz-aly-weihnachten-in-aleppo-25375098) Er schrieb, was nüchterne Beobachter des blutigen Dramas in Nahost schon längst wußten, wir müßten uns "von der Einteilung in gut und böse  verabschieden." Frage: Gilt diese Erkenntnis auch für Putin und die Rolle Rußlands, dem Aleppo die Befreiung von den Djihadisten letztlich verdankt?

Wie komplex die Lage in Syrien ist,  welche Machtinteressen in der "demokratischen Rebellion" gegen das Alawiten-Regime von Bashar Assad im Spiel waren, wie wenig das Wunschbild von den "mehrheitlich gemäßigten Kräften" unter den Aufständischen der Wirklichkeit entsprach, war von Anbeginn offenkundig. (Siehe entsprechende Globkult- und Blog-Einträge, darunter eine Kritik an der Parteinahme des verstorbenen Rupert Neudeck und seinem Appell zu militärischer Intervention zugunsten der Gegner Assads (u.a Zum Unfrieden in Nahost: unbequeme Faktenlage; Grundsatzfragen. Zum Bürgerkrieg in Syrien III Rupert Neudecks Ruf zu humanitärer Waffenhilfe) Nach über sechs Jahren zeichnet sich ein Sieg Assads ab, gestützt auf seine Verbündeten Rußland und Iran sowie auf die unerwartete - nur temporäre? - Annäherung von Putin und Erdogan. Doch selbst wenn unter diesen Auspizien auf ein Ende der Massaker in Syrien zu hoffen ist, bleiben die Aussichten auf einen umfassenden Frieden im Nahen Osten so ungewiß wie seit Jahrzehnten zuvor.

III.
Für die nahöstliche Kriegs- und Krisenregion beschwören wohlmeinende Beobachter wiederholt - in Anlehnung an Henry Kissinger (s. H.A.: Kissingers amerikanische Weltordnung) - Notwendigkeit und Chancen eines "Westfälischen Friedens".  Fragen erheben sich nicht nur in Bezug auf die Übertragbarkeit eines aus der europäischen Geschichte abstrahierten Modells auf eine historisch, kulturell und geopolitisch gänzlich anders geartete politische Landschaft. Zwar lassen sich Analogien zu den damaligen Großmächten und deren Interessen konstruieren, doch hinsichtlich der religiös-konfessionellen Bruchlinien (Sunniten, Schiiten, Alawiten, Yeziden, Drusen, Christen, , Juden, Säkulare, Religiöse) stößt das historische Exempel an seine Grenzen. Ethnisch-nationale Konflikte - wie derzeit zwischen Kurden und Arabern, Türken und Kurden, Iranern und Arabern - spielten zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges keine Rolle.

Die Wurzeln der im Irak, in Libyien, im Jemen und in Syrien stattfindenden Kriege, Aufstände oder "Bürgerkriege" reichen in den Ersten Weltkrieg, zum Teil  bis ins 19. Jahrhundert zurück. Der Djihadismus entsprang dem cultural clash einer von religiösen Traditionen geprägten Welt mit dem technisch überlegenen, säkularen Westen. Er entfaltete seine terroristische Sprengkraft, nachdem die aus dem Westen importierten Ideologien Nationalismus und Sozialismus sich als untauglich erwiesen hatten, die materiellen Erwartungen der in allen betreffenden Ländern rapide anwachsenden Bevölkerungen zu erfüllen. Unter derlei Bedingungen existierte  Staatlichkeit im arabisch-islamischen Raum - mit Ausnahme des bis in die 1970er Jahre friedlichen Libanon - nur im Rahmen wechselnder Diktaturen und/oder auf patriarchalisch-traditionaler Autorität beruhender Herrschaft. Als erfolgreicher, materiell-technisch und militärisch überlegener Staat ragte allein das in mehreren Kriegen siegreiche, von nahezu der gesamten islamischen Welt ungeliebte Israel hervor.

Von einem wirklichen Friedenszustand konnte daher im Nahen Osten - ungeachtet der zwei Friedensverträge Israels mit Ägypten und Jordanien - kaum je die Rede sein. Unbestreitbar brachte der von Präsident George W. Bush und den neocons inszenierte zweite Krieg 2003 gegen den  irakischen Diktator Saddam Hussein die gesamte labile Tektonik zum Einsturz. Entsprang bereits der von den "rechten", in Wirklichkeit mehrheitlich ex-liberalen Neokonservativen angestrebte regime change in Richtung "demokratische Neuordnung" einer Mischung aus Unwissen, Realitätsblindheit und wishful thinking so wiederholte sich das verhängnisvolle Spiel, als der von nahezu allen westlichen Mächten und Medien begrüßte "arabische Frühling" in blutiges Chaos mündete. Der von Terror und Verwüstung getragene Aufstieg des "Islamischen Staates" gehörte zu den Spätfolgen des Irakkriegs von 2003, als sich  gedemütigte Offiziere und Soldaten des von den Schiiten gehängten Saddam Hussein den Djihadisten zuwandten.

Die Zusammenhänge zwischen dem Irakkrieg von 2003 und dem 2011 in Syrien ausgebrochenen Bürgerkrieg sind so evident wie verwirrend. Wie kam die Zweckallianz zwischen den Kurden unter Masoud Barzani im nördlichen Irak und dem türkischen Herrscher Erdogan zustande? Unter welchen Umständen waren die USA (und die Bundesrepublik) bereit, den mit der - nach wie vor nicht gänzlich ohne Grund als "Terrororganisation" eingestuften - PKK liierten Kurden im Norden Syriens zu militärischer Kampfkraft zu verhelfen? Warum stellt sich Erdogan seit kurzem gegen die von ihm über Jahre geförderten Djihadisten im syrisch-türkischen Grenzbereich? Welche Absicht verfolgt er mit seiner plötzlichen Annäherung an Putin (und umgekehrt)? Ist damit zu rechnen, dass Saudi-Arabien und Quatar sich mit der Vertreibung der maßgeblich von ihnen ausgestatteten Djihadisten - und mit der vollständigen Niederlage der sunnitischen Erhebung abfinden werden?

IV.
Der große Unterschied zu dem Irakkrieg von 2003 liegt in dem vom "Westen" - unter Führung des als zu zaghaft gescholtenen Präsidenten Obama -  ungehinderten Auftreten Rußlands als schlagkräftiger Verbündeter des syrischen Herrschers Assad.  Es gehörte zu einer der großen Ironien der jüngeren Geschichte, wenn aus den soeben angekündigten Verhandlungen zwischen Russland, Iran und der Türkei ein Friedenskonzept für Syrien hervorginge, durchsetzbar durch weitere, koordinierte militärische Aktionen. Damit würde - ohne Zutun der am Nahen Osten interessierten westlichen Mächte und ohne Vermittlung der UNO - durch klassische Machtpolitik und -diplomatie ein Zustand geschaffen, der zwar noch keinen dauerhaften Frieden für den Nahen Osten verheißt, aber den Teufelskreis von Erhebung, djihadistischer Barbarei und Intervention von außen durchbricht.

Mehr als eine moderate Hoffnung scheint es für den Nahen Osten nicht zu geben. Mit dem Einzug von Donald Trump  ins Weiße Haus am 20. Januar kommt ein unberechenbarer Akteur ins Spiel.  Ob es zu der von Trump im Wahlkampf propagierten, durch Berufung des Putin-Freundes Rex Tillerson ins State Department anscheinend bekräftigten Annäherung an Rußland und somit zu einer Art friedensstiftenden Doppelhegemonie kommt, steht noch in den Sternen. Wie ein Präsident Trump eine neues, "besseres" Atomabkommen mit Teheran aushandeln will, weiß er vermutlich selbst nicht. Ob ihm - nach all den vergeblichen Bemühungen eines John Kerry - überhaupt eine Rolle als Friedensstifter im Nahen Osten vorschwebt, ist nicht minder ungewiß. Mit der Ernennung eines zelotischen Anhängers der jüdischen Siedlungsbewegung auf der Westbank schwindet die Aussicht auf die Rettung des Zwei-Staaten-Modells zur Lösung des für Nahost zentralen Israel-Palästina-Konflikts.

Conclusio: Wir dürfen die Aussichten auf einen umfassenden Frieden im Nahen Osten nicht allzu hoch einschätzen. Umgekehrt sollten wir angesichts der jüngsten Bilder aus Aleppo die Hoffnung, dass das Gemetzel in Syrien endlich aufhört, nicht zu gering schätzen.






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