Freitag, 15. Juli 2016

14 Juillet: Säkularisten in der europäischen Zirkuskuppel ratlos


I.
Am gestrigen Abend, während des großen Feuerwerks auf der Promenade des Anglais in Nizza anläßlich des Festes der Großen menschheitsvereinenden Revolution, verkehrte ein  31jähriger Lkw-Fahrer, französischer citoyen  nordafrikanischer Herkunft mit mutmaßlich spezifischen Glaubensüberzeugungen, den Nationalfeiertag am 14 Juillet  in einen gedenkwürdigen Staatstrauertag. Von den allseits fälligen Solidaritäts- und Betroffenheitsbekundungen sei die Reaktion der  deutschen Bundeskanzlerin, derzeit zu Staatsbesuchen und Gipfeltreffen im Fernen Osten, zitiert. Sie sprach für "alle Menschen in Deutschland", die zusammen "mit den Menschen in Frankreich" trauerten. Weiter: "Deutschland steht im Kampf gegen den [sc. begriffsneutralen] Terrorismus an der Seite Frankreichs, vereint mit vielen anderen." Ich bin sehr überzeugt, dass wir trotz aller Schwierigkeiten den Kampf gewinnen werden." (In Parenthese: Mit ähnlichen Worten eröffnete George W. Bush anno 2001 den "Krieg gegen den Terror mit allen bekannten Folgen.) 

Merkel scheint wie stets, wenn schon sprachlich nicht sehr überzeugend, von ihrem politischen Agieren sehr überzeugt. Mit den Folgen ihrer Überzeugungen -  "Wir schaffen das. Wir sind ein starkes Land" (dixit Merkel)  - schlagen sich spätestens seit dem 5. September 2015 die deutschen Kommunen und die europäischen Nachbarn herum...

II.
Ebenfalls gestern, gewann eine Rechtsreferendarin muslimischen Glaubens vor dem Augsburger Verwaltungsgericht  einen Rechtsstreit gegen den Freistaat Bayern, der das Tragen eines Kopftuches mit der Ausführung "hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung" für unvereinbar erklärt hatte. Soweit das Urteil in der Presse zitiert wurde, ist daraus abzuleiten, dass der Dame nicht nur das Recht auf Vollendung ihrer juristischen Ausbildung, sondern auch der spätere Eintritt in den Staatsdienst nicht mehr zu  verwehren sei. Denn, so die erfolgreiche Klägerin, es hänge alles doch nur von den Noten ab.

Aqilah Sandhu gebürtig in Deutschland, beherrscht nicht nur das juristische Fachwissen fürs erste - und mutmaßlich auch fürs zweite - Staatsexamen,  sondern- für  bundesrepublikanische Integrationskonzepte unentbehrlich - auch den Jargon der Emanzipation: Musliminnen mit Kopftuch sollten "als vollwertige Persönlichkeiten, nicht als unterdrückte Wesen wahrgenommen werden, die für sich selbst sprechen und die nicht ferngesteuert sind." Die noch bestehenden staatlichen Einschränkungen bezüglich von Kopftuchträgerinnen beträfen "Frauen, die einen Beruf ergreifen wollen, die sich emanzipieren und auf eigenen Beinen stehen." (FAZ v. 15.07.2016, S.4).

Noch liegen der staatsdienlichen Karriere der kopftuchbewehrten Juristin ein paar Steine im Weg. Das bayerische Justizministerium hat Berufung gegen das Augsburger Urteil angekündigt. Falls der Freistaat in der Berufung obsiegen sollte, steht Aqilah (und ihren integrationspolitischen Förderern) noch ein längerer Weg durch die Instanzen - mutmaßlich bis nach Luxemburg - bevor. Derzeit setzt sie ihre Ausbildung zur Volljuristin als Referendarin im Auswärtigen Amt zu Berlin fort - mutmaßlich dank verständnisvoller Beamten (sc. -innen) aus der Ära Fischer (Joschka). 

III.
Selbstverständlich haben wir aufgeklärten, kulturhistorisch bewanderten Bürger unseres säkularen Staates gelernt,  begrifflich und inhaltlich sorgsam zu trennen zwischen der Religion des Propheten und den emotionalen Verirrungen seiner islamistischen Bekenner. Gewiss, dank endloser Wiederholung kennt man inzwischen den Text, auch einige Verfasser aus dem Olymp der Eliten und der "Zivilgesellschaft". Frei von Ironie sei konzediert, dass die Adepten von Al Quaida, IS und Nusra-Front, nicht zu vergessen einige Mullahs und deren Pasdaran, innerhalb der muslimischen Welt eine Minderheit darstellen, ja die Ausnahme bilden. Gleichwohl: Das Loblied auf die muslimische Toleranz im andalusischen Reich der Omajadaden klingt fern, allzu fern aus mittelalterlichen Zeiten, verfehlt überdies weithin die historische Wirklichkeit. (S. dazu etwa den Leserbrief "Die ganze Geschichte des Islams beachten" in der heutigen FAZ, 15.07.2016, S. 21, in Replik auf  unkritische Stellungnahmen am 11.07.2016)

Das Grundproblem bezüglich der - soeben per Gesetz im Bundestag erneut bekräftigten -  "Integration" - bleibt von der politisch korrekten Begriffsscheidung unberührt - und ungelöst: Wie gelingt es in  den westlichen säkularen, religiös indifferenten, weithin offen atheistischen  Gesellschaften mitsamt ihrem - existenziell eher dürftigen -  zivilreligiösen, von Doppelmoral durchzogenem Überbau, eine wachsende  Anzahl von "Migranten" mit grundsätzlich anderen, voraufklärerischen Glaubensvorstellungen und monistischen Überzeugungen - von allen sonstigen Kulturtraditionen abgesehen - in ihre vermeintlich universale, realiter spezifisch "westliche" Kultur einzubinden? Die von wohlmeinenden "Experten" oder Dialogpartnern besetzten "Diskurse" zum "interreligiösen Dialog" berühren selten die evidenten Phänomene kulturell-sozialer Differenz - von separat verfassten "Parallelgesellschaften" bis hin zu politischen Machtansprüchen diverser communities -,   klammern insbesondere die Grundsatzproblematik aus:Wie kann der von  existenzieller Sinnleere - materiell unter den Bedingungen der "Globalisierung", ideell im Zeichen der Postmoderne -   gekennzeichnete "Westen" - das Abendland oder Europa -  dem von ungebrochenem religiös-kulturellen Selbstbewusstsein geprägten Millionen Immigranten begegnen? Mit der Kampfansage  gegen den "Terrorismus" und permanenten Proklamationen "unserer Werte" ist den Relitäten jedenfalls nicht beizukommen.

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